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Überlegungen zur Frage des AntisemitismusOverlay E-Book Reader
Delphine Horvilleur

Überlegungen zur Frage des Antisemitismus

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Produktdetails

Verlag
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Grasset
Erschienen
2020
Sprache
Deutsch
Seiten
144
Infos
144 Seiten
ISBN
978-3-446-26736-7

Kurztext / Annotation

Delphine Horvilleur beleuchtet in ihrem Essay den Zusammenhang von Antisemitismus, Faschismus und Misogynie und stellt sich der Frage einer jüdischen Identitätspolitik - auch außerhalb Israels.
Wo liegen die Ursprünge antisemitischen Denkens? Was heißt es, jüdisch zu sein, ohne den definierenden Blick des Antisemiten? Und wie hängen Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit zusammen? Delphine Horvilleur ist eine von drei Rabbinerinnen Frankreichs und eine der einflussreichsten Stimmen des liberalen Judentums in Europa. In ihrem Essay beleuchtet sie die fatalen Parallelen von Antisemitismus, Faschismus und Misogynie. Dabei spannt sie den Bogen von religiösen Texten bis hin zur politischen Gegenwart. Ihr Buch eröffnet uns eine neue Perspektive auf eine alte Frage, die sich in unserer Gegenwart erneut mit großer Dringlichkeit stellt.

Delphine Horvilleur, geboren 1974 in Nancy, ist Rabbinerin, dreifache Mutter und die Leitfigur der Liberalen Jüdischen Bewegung Frankreichs (MJLF). Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift Tenou a - Atelier de pensée(s) juive(s) und Autorin mehrerer Bücher zum Thema Weiblichkeit und Judentum. Zuletzt erschien von ihr Überlegungen zur Frage des Antisemitismus (2020).

Textauszug

KAPITEL 1

Antisemitismus als Familienrivalität

Von Epoche zu Epoche reproduzieren sich in erstaunlich unterschiedlichen Zusammenhängen einige Leitmotive des antijüdischen Furors, wie das sogenannte Ur-Übel oder das widerwärtige Stottern der Geschichte.

Unzählige Historiker, Soziologen, Theologen und Psychologen haben die Ursprünge der antisemitischen Geißel analysiert und versucht, die politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen oder religiösen Hintergründe ihres Erscheinens oder Wiederauflebens zu verstehen. Nicht ganz so zahlreich sind diejenigen, die sich mit der jüdischen Literatur zur Erforschung dieses Phänomens beschäftigt haben.

Eigentlich sollte es nicht die Aufgabe eines Opfers von Gewalt oder Diskriminierung sein, die Auslöser für den erfahrenen Hass erklären und die Beweggründe des Henkers sondieren zu müssen. Muss man an eine solche Selbstverständlichkeit überhaupt erinnern? Antisemitismus ist nicht »das Problem der Juden«, sondern in erster Linie das der Antisemiten und derer, die ihnen das Wort reden. Warum also sollten die Exegeten der jüdischen Quellen über einen besonderen Schlüssel zum Verständnis dieses Hasses verfügen?

Tatsächlich bietet die Auslegung des Antisemitismus durch das Judentum eine bisher unbekannte Perspektive: den subjektiven Standpunkt derjenigen, die antisemitische Erfahrungen im Hinblick auf ihr mögliches Wiederaufleben und die entsprechenden Umgangsstrategien vorsorglich an die nachfolgenden Generationen weitergeben. Die Auslegung der Rabbiner ist nicht nur ein Raster für das, was den Juden zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Geschichte widerfahren ist, keine bloße Schilderung vergangenen Leids, sondern eine Reflexion über den Ursprung des Phänomens und die Überwindung seiner Folgen für die betroffene Gruppe. Die Rabbinische Literatur möchte die Juden angesichts der möglichen Zukunft zu Akteuren ihrer eigenen Geschichte machen. Außerdem bietet sie eine originelle Lesart von der Psyche des Unterdrückers aus der Perspektive des schutzbedürftigen Verletzlichen. Die Rabbinische Literatur legt weder das Opfer auf sein Leid noch - und das ist sehr viel überraschender - den Henker auf seinen Hass fest, und genau diese Verweigerung der Schicksalhaftigkeit sollten wir uns auch für die heutige Zeit zunutze machen.

Wie deuten die Gelehrten und die traditionellen Texte den gegen sie gerichteten Zorn, der bei ihrem Gegenüber chronische Ausmaße annimmt? Gibt es so etwas wie eine genuin jüdische Reflexion über den Antisemitismus?

Diesen Fragen werden wir in dem vorliegenden Buch nachgehen und uns dafür mit literarischen Quellen beschäftigen. Auch wenn es sich um einen Anachronismus handelt, weil die Rabbinische Literatur fast zwei Jahrtausende älter ist als der im 19. Jahrhundert in Deutschland geprägte Begriff, werde ich den Judenhass im Folgenden als Antisemitismus bezeichnen.

Die jüdische Nicht-Identität

Wo finden sich Anhaltspunkte für einen aufkeimenden antisemitischen Hass in den Texten der jüdischen Tradition? In der Thora, von den Christen Altes Testament genannt, werden keine Ressentiments gegen die Juden erwähnt, und zwar aus dem einfachen Grund, weil gar keine Juden erwähnt werden. Das Volk, von dem die Thora erzählt, nennt sich zu diesem Zeitpunkt hebräisches Volk oder Kinder Israels. Später in der Geschichte sollten sich die Juden auf genau diese beiden Identitäten berufen.

Analysieren wir vorab kurz die Begrifflichkeiten dieser jüdischen Proto-Identität.

Der allererste Hebräer namens Abraham wird in der Stadt Ur geboren, im Land der Chaldäer. Er kommt demnach nicht als Hebräer in seinem Ursprungsland zur Welt, sondern erwirbt sich diese Identität erst, als er der Aufforderung Gottes folgt, das Land seines Vaters und seinen Geburtsort zu verlassen: »Der Herr sprach zu Abram: Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deine

Beschreibung für Leser

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