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Produktdetails

Verlag
Insel Verlag
Erschienen
2019
Sprache
Deutsch
Seiten
239
Infos
239 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen
ISBN
978-3-458-76408-3

Kurztext / Annotation

Dass ein international berühmter und preisgekrönter Sachbuchautor und Romancier wie David Van Reybrouck sich der jahrtausendealten Form der Ode zuwendet, mag auf den ersten Blick erstaunen. Van Reybrouck verwandelt sich diese seit jeher für die rühmende Hinwendung zu Menschen und Dingen bestimmte Form auf seine eigene, sehr persönliche Weise an: Seit 2015 schreibt er in dem unabhängigen niederländischen online-Magazin The Correspondent regelmäßig emphatische Würdigungen von Menschen, Dingen, aber auch ganz alltäglichen Vorgängen: der Ex, der nächtlichen Autofahrt, dem Offline-Sein, David Bowie, Kunstwerken, Menschen, denen er auf seinen Reisen begegnet ist oder die ihn geprägt haben. Hier werden sie erstmals in Buchform veröffentlicht.

Offen und neugierig auf das Leben in all seinen Erscheinungsformen zeigt David Van Reybrouck hier mehr noch als in seinen anderen Büchern seine sinnliche, verletzliche, dichterische Seite. Er tritt auf als Abenteurer, Liebhaber, Freund, als engagierter Europäer und Streiter für Demokratie, Solidarität und Menschlichkeit. Und als leidenschaftlicher Bewunderer und genauer Beobachter. Nicht nur in der Van-Reybrouck-Gemeinde sind diese Oden Kult.

»Oden schreiben - ich kann es nur empfehlen: Es macht einen aufmerksamer, begeisterungsfähiger, neugieriger, dankbarer.«



David Van Reybrouck, geboren 1971 in Brügge, ist Schriftsteller, Dramatiker, Journalist, Archäologe und Historiker. 2011 gründete er die Initiative G1000, die sich in Belgien, den Niederlanden und in Spanien für demokratische Innovationen einsetzt. Kongo. Eine Geschichte wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis 2012, stand auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und verschaffte Van Reybrouck internationale Anerkennung. Sein Buch Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist (Wallstein Verlag, 2016) erhielt europaweit große Aufmerksamkeit. Für Revolusi. Indonesien und die Entstehung der modernen Welt wurde Van Reybrouck mit dem Geschwister-Scholl-Preis 2023 ausgezeichnet.

Textauszug

Ode an das Offline-Sein

Vorigen Sommer wollte ich den Cambrian Way gehen, eine dreiwöchige Wandertour durch Wales. Doch eine Woche nach meinem Aufbruch stand ich schon wieder auf dem Bahnhof Brussel-Zuid. Es hatte mir nicht gefallen. Vom Regen vertrieben? Nein, es wütete sogar eine Hitzewelle in Wales. Essen ungenießbar? Bei dreißig Grad konnte ich durchaus von Tiefkühlerbsen leben. Landschaft monoton? Im Gegenteil. Herrlich. Aber was dann?

Zum ersten Mal hatte ich auf einer Reise ein Smartphone dabei.

Ich hatte das Ding ein halbes Jahr zuvor gekauft und es erschien mir als recht praktisch, unterwegs B&Bs, Busfahrpläne und Unwetterwarnungen checken zu können. Außerdem brauchte ich dann keinen Fotoapparat mitzunehmen - schon wieder 300 Gramm eingespart.

Tja, eben nicht. Ich war nicht mit leichterem Gepäck unterwegs, sondern trug schwerer. Wenn ich abends im Zelt lag, las ich, was meine Freunde alles auf Facebook geteilt hatten. Statt des bewährten und von mir heiß geliebten Studiums der Wanderkarten ließ ich mich auf ausführliche Chats mit entfernten Bekannten ein und brillierte mit geistreichen Sprüchen und witzigen Kommentaren.

Aber wenn ich anschließend in meinen Schlafsack kroch, spürte ich nicht die wohlige Müdigkeit nach einem anstrengenden Tag in der Natur, sondern eine seltsame Art von Aufregung, als würde hinter meinem Brustbein, dicht beim Magen, ununterbrochen ein Teelicht flackern, so eins mit Batterie.

Ich war nicht in Wales, ich war in meinem Display. Ich war überall und nirgends. Vielleicht ist das ja die Crux des permanenten Online-Seins: Man ist nie mehr wirklich irgendwo. Alles wird zum Hier. Man wird auseinandergezogen, zerfasert, bis eine dünne Schicht von einem über große Teile Europas und noch weiter gespannt ist.

Und das Seltsame war: Ich konnte nichts dagegen tun. Obwohl ich für gewöhnlich recht stabil bis sehr diszipliniert im Leben stehe, schaffte ich es diesmal nicht, diesen idiotischen Umgang mit dem Smartphone zu zügeln. Ich hatte Urlaub, ich war allein und ich war online: eine tödliche Kombination. Es fühlte sich zu schön an, dieser endlose Strom von herzlichen Nachrichten. Es war schlimmer als ein Fernsehbildschirm in einem Wartesaal: Ich konnte nicht nicht hinsehen.

Was für ein Unterschied zur Situation zwei Jahre zuvor, als ich die ganzen Pyrenäen durchwanderte. Ich hatte den Zug von Brüssel nach Hendaye genommen, dem letzten französischen Städtchen an der Atlantikküste. Dort nahm ich die SIM-Karte aus meinem altmodischen Handy und schickte sie per Post nach Hause. Im Hochgebirge gab es ohnehin kein Netz. Ich hatte die beste Zeit meines Lebens.

Warum können wir uns so schwer allem entziehen, was uns ablenkt, zur Eile antreibt und auf lange Sicht sogar weniger glücklich macht? Die Antwort ist einfach: Weil es uns kurzfristig glücklich macht oder zumindest: uns ein Glücksgefühl beschert.

Wie jeder Mensch denke ich nicht, dass ich eine schwächere Willenskraft habe als andere, doch mein Primatengehirn, das Resultat von einigen Millionen Jahren natürlicher Selektion, ist offenkundig noch nicht an dieses 21._Jahrhundert angepasst. Es schnellt hoch bei jeder kleinen Nachricht, es freut sich über jede kleine App, es giert nach jedem neuen Benachrichtigungston - dem modernen Äquivalent von Pawlows Glocke. Ich vermute, dass sich sogar mein Herzschlag und meine Atmung jedes Mal für einen Moment beschleunigen, wenn etwas Neues ankommt. Vielleicht ist das ja gerade das Problem: Mein prähistorisches Gehirn findet dieses ganze Internet eigentlich ausgesprochen gesellig und unterhaltsam.

Liegt das an mir? An meinem Beruf? An meiner Generation? Wenn man dem belgischen Neuropsychiater und Publizisten Theo Compernolle glauben darf, betrifft es jeden, auch die Allerjüngsten. In seinem wichtigen Buch Ontketen je br

Beschreibung für Leser

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