0 0,00*

Produktdetails

Verlag
Goldmann Verlag
Erschienen
2019
Sprache
Deutsch
Seiten
448
Infos
448 Seiten
ISBN
978-3-641-19909-8

Kurztext / Annotation

Die alleinerziehende Camilla kämpft an allen Fronten: Täglich muss sie sich im väterlichen Delikatessenhandel beweisen, während ihre fünfzehnjährige Tochter Marie gegen sie rebelliert. Und dann wird sie auch noch nach Südfrankreich geschickt, um mit einer Honigmanufaktur zu verhandeln - im Gepäck das tobende Mädchen und ihren nervtötenden Nachbarn, der sich ihnen spontan angeschlossen hat. Kein Wunder, dass sich das pittoreske Bergdorf Loursacq zunächst als wenig heilsam für die angespannten Gemüter erweist. Doch Camilla krempelt die Ärmel hoch - und lernt zwischen Tomatenstauden, Rebstöcken und Olivenbäumen, dass die guten Dinge im Leben erst dann auf zarten Flügeln herbeifliegen, wenn man bereit für sie ist ...

Claudia Winter, geboren 1973, ist Sozialpädagogin und schreibt schon seit ihrer Kindheit Gedichte und Kurzgeschichten. Als Tochter gehörloser Eltern lernte sie bereits mit vier Jahren Lesen und Schreiben, gefördert von ihrem Vater. Neben ihren bisher im Goldmann Verlag erschienenen Büchern hat sie weitere Romane sowie diverse Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann in einem kleinen Dorf nahe Limburg an der Lahn.

Textauszug

Prolog

SÜDFRANKREICH IM MAI 1956

Es war der erste richtige Frühlingstag nach jenem Winter, den die Leute aus Loursacq l'hiver des oliviers noirs nannten - den Winter der schwarzen Olivenbäume.

Henri marschierte den steinigen Pfad entlang, den er zweimal täglich gehen musste, die Daumen hinter die Schulterriemen des Tornisters geklemmt, den Blick fest auf die drei weißen Streifen auf seinen Schuhen gerichtet. Er konnte noch immer kaum glauben, was Maman da für ihn getan hatte.

Direkt nach dem Aufwachen hatte sie ihm das braune Päckchen in die Hand gedrückt, mit leuchtenden Augen, als hätte sie Geburtstag und nicht er. Was darin war, hatte er sofort gewusst - wegen der vielen ausländischen Briefmarken. Geheult hatte er, o ja, und das Papier mit den kostbaren Marken zerrissen, weil er sie so dringlich in den Händen halten wollte: die Fußballschuhe, denen die Deutschen ihren Sieg im WM-Endspiel gegen die Ungarn verdankten. Was für ein atemberaubendes Finale!

Seit jenem Tag hatte Henri felsenfest an die Zauberkräfte der Stollenschuhe geglaubt, über die damals sogar in Pépères Sonntagszeitung berichtet wurde. Sie tatsächlich zu besitzen war das beste Geburtstagsmorgengefühl, das er in den vergangenen zwölf Jahren gehabt hatte. Wobei er sich freilich nicht mehr an alle Geburtstage erinnerte.

Was die Zauberschuhe anging, war er leider noch am selben Nachmittag eines Besseren belehrt worden, in einer beschämenden Sportstunde mit etlichen verpassten Torchancen. Ein paar läppische Nägel unter den Sohlen reichten eben doch nicht aus, damit ein Außenseiter gegen einen unschlagbaren Gegner gewann. Dabei hatte er so gern an das Wunder von Bern glauben wollen.

Henri seufzte, froh, dass ihn seine Überlegungen vom Anblick der knorrigen Baumskelette ablenkten. Wie verbrannte Kriegsverletzte ragten sie aus dem Boden, dort, wo einmal ein zartgrünes Blätterdach seinen Schulweg gesäumt hatte. Grün war hier trotzdem noch so einiges, das war es in der Haute Provence eigentlich immer, wie Maman andauernd betonte, mit ihrem komischen Wohlwollen für all das Gestrüpp, das angeblich gut für die Bienen war. Wegen ihnen liebte Aurélie Lambert jedes Kraut, solange es Blüten trug, den Ginster, die Mimosen, die Wildblumen. Ganz besonders mochte sie den Lavendel, der unter der Aprilsonne die ersten silbrigen Blätter trieb, scheinheilig, als hätte es die legendäre Kältewelle nie gegeben.

Die Olivenbäume hingegen, die Henris Ururgroßvater gepflanzt hatte, trugen das Frostopferschwarz einer Schlacht, die in einer einzigen Februarnacht entschieden wurde, als die Temperatur innerhalb weniger Stunden auf über minus zwanzig Grad gesunken war. Im Radio hatten sie behauptet, jener Nacht seien in ganz Frankreich drei Millionen Olivenbäume zum Opfer gefallen, überall im Land habe das tödliche Knacken der Stämme die Obstplantagen durchdrungen. »Von innen erfroren und dann geplatzt. Bum! Fini!«, hatte Pépère gerufen und mit der Faust auf den Küchentisch gehauen, das Faltengesicht hummerrot, weshalb Maman rasch das Radio ausgeschaltet hatte, ehe ihre Fayence-Teller daran glauben mussten.

Henri kickte einen Stein vor sich her. Drei Millionen. Gestern hatte er die Zahl in sein Rechenheft geschrieben, spaßeshalber, um das »Bum! Fini!« schwarz auf weiß zu sehen. Er hätte es lassen sollen. Es war nicht schwer zu erraten, was die vielen Nullen auf dem karierten Blatt für Pépères Oliven und die kleine Ölmühle bedeuteten, die ihnen neben Mamans Honig ein leidliches Auskommen bescherte.

Da war es besser, über Fußball nachzudenken oder sich Arthur Pelletiers gequälte Miene ins Gedächtnis zu rufen, als Henri auf dem Fußballplatz die neuen Fußballschuhe aus dem Tornister geholt hatte. Zwar hatte er kein Tor damit geschossen, und er musste sich zweimal böse von Pelletier foulen lassen

Beschreibung für Leser

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet