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Produktdetails

Verlag
Heyne Verlag
Little, Brown & Company
Erschienen
2019
Sprache
Deutsch
Seiten
464
Infos
464 Seiten
ISBN
978-3-641-24578-8

Kurztext / Annotation

Stürzte täglich ein Flugzeug ab, würde man auch etwas tun, oder?

In eine Boeing 787 passen ungefähr 250 Menschen. Genauso viele Menschen sterben in den USA täglich an Opioiden, also an Schmerzmitteln wie etwa Oxycodon, Vicodin oder Fentanyl. In der Altersgruppe der unter 50-Jährigen stellt die Überdosierung von Schmerzmitteln oder Drogen mittlerweile die häufigste Todesursache dar, noch vor Waffengewalt oder Verkehrsunfällen. Viele der Süchtigen bekamen die Medikamente anfangs von ihrem Arzt verschrieben, etwa nach einer Operation oder einer Sportverletzung. Von den hochwirksamen Mitteln kamen die Patienten dann nicht mehr los. Millionen Amerikaner sind somit durch Opioide auf Rezept in die Abhängigkeit geschlittert. Die Pharmakonzerne, die diese neuartigen und hochintensiven Schmerzmittel in den 1990er-Jahren in den Markt gedrückt haben, spielten und spielen die Risiken einer Sucht herunter. Milliardenprofite stehen im Raum.

Die preisgekrönte Journalistin und Sachbuchautorin Beth Macy ist durch die USA gereist und hat Süchtige, Betroffene und Hinterbliebene besucht und ihre Lebenswege und Schicksale nachgezeichnet. Stellvertretend für die vielen Mütter, die ihre Kinder verloren haben, stellt sie die Frage nach dem Warum. Entstanden ist ein erschütternder Bericht über ein abhängiges, betäubtes und sterbendes Amerika.

Die renommierte Autorin und Journalistin Beth Macy wurde für ihr Schreiben bereits vielfach ausgezeichnet. Alle ihre Bücher standen auf der »New-York-Times«-Bestsellerliste. Beth Macy lebt mit ihrer Familie in Roanoke, Virginia.

Textauszug

Riverview Cemetery, Strasburg (Virginia)

Prolog

Zwei Jahre nach Antritt einer dreiundzwanzigjährigen Gefängnisstrafe, an einem Tag, an dem es deutlich über 35 Grad hatte, bekam Ronnie Jones zum ersten Mal Besuch. Fast ein Jahr lang hatten mir Polizisten und Strafverfolger diesen Mann, der wegen bewaffneten Handels mit Betäubungsmitteln einsaß, als ein Raubtier beschrieben. Drei Monate hatte die Bewilligung meines Besuchsantrags gedauert, doch nun lief ich endlich den gepflegten Zugangsweg der Hazelton Federal Correctional Institution am Stadtrand von Bruceton Mills (West Virginia) entlang. Es war so schwül, dass sogar die Fahnen, die den Eingang des Betonklotzes einrahmten, schlapp herunterhingen, genauso reglos wie der Klingendraht auf dem Dach des Gebäudes.

Preston County liegt in der nordwestlichen Ecke des Staates, der im Norden an Pennsylvania und im Osten an Maryland grenzt. Früher hatte dort der Tagebau die zentrale Rolle gespielt, doch bis zur Mitte der 2000er-Jahre war ein Großteil der Minen stillgelegt worden, und nun war das Gefängnis mit seinen achthundert Aufsehern und Verwaltungsangestellten der größte Arbeitgeber des Bezirks.1

Für mein Interview im August 20162 hatte ich mich mehrere Wochen durch die Hierarchie der US-Gefängnisverwaltung in Washington, D.C., gekämpft, doch vorher hatte ich ebenso lang gebraucht, um Ronnie Jones in vom Gefängnis zensierten E-Mails dazu zu bewegen, einem Gespräch zuzustimmen. »Mit wem genau haben Sie bis jetzt gesprochen, der mit meinem Fall zu tun hatte?«,3 wollte er wissen, und welche persönlichen Informationen über ihn ich zu verwenden gedachte.

Schließlich stimmte Jones einem Besuch von mir doch zu - weil seine Töchter, die im Kindergarten beziehungsweise in der ersten Klasse waren, als er im Juni 2013 verhaftet wurde, wissen sollten, dass er »auch eine andere Seite« hatte, wie er es formulierte. Sie hatten ihn zuletzt gesehen, als er ihnen eine Woche vor seiner Verhaftung Geburtstags-Cupcakes in ihre Schule gebracht hatte.4

Ich musste an den »Tsunami des Elends« denken, den Jones laut Staatsanwalt zuerst in Woodstock (Virginia) entfesselt hatte, bevor die Welle 2012 und 2013 über den gesamten Nordwesten des Staates hinweg bis in einige westliche Schlafstädte Washingtons geschwappt war. Innerhalb weniger Monate hatte Jones es zum Kopf des größten Heroinkartells der Region gebracht und aus einer Handvoll Konsumenten Hunderte gemacht.

Auf der Fahrt zum Gefängnis versuchte ich, die Zahl seiner Opfer zu berechnen: hunderte Abhängige, die, als ihre Heroinquelle infolge von Jones' Verhaftung plötzlich versiegte, auf Entzug waren - schwitzten, sich erbrachen und in die Hosen machten. Als Jones 2013 inhaftiert wurde, bildeten die frischgebackenen Abhängigen Fahrgemeinschaften in die nächstgelegenen großen Städte - Baltimore, Washington und sogar Martinsburg (West Virginia), auch Little Baltimore genannt -, um sich an den bekannten Heroinumschlagplätzen Drogen zu beschaffen und das russische Roulette der Dealer mitzuspielen.

Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass in der gleichen Woche eine Lieferung Heroin den Weg in das vier Stunden westlich von Jones' Zelle gelegene Huntington (West Virginia) finden und innerhalb eines einzigen Tages bei sechsundzwanzig Menschen einen Atemstillstand hervorrufen würde.5 Diese Überdosen wurden von Carfentanyl verursacht, dem neuesten synthetischen Opioid, das mit einem Mausklick aus China importiert werden kann. Es handelt sich eigentlich um ein Betäubungsmittel für Elefanten, hundertmal stärker als Fentanyl, das wiederum fünfundzwanzig- bis fünfzigmal stärker als Heroin ist. Es waren diese Opfer von Opioidüberdosen, die dafür sorgten, dass in West Virginia der staatliche Etat für Sozialbestattungen das fünfte

Beschreibung für Leser

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