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Produktdetails

Verlag
btb Verlag
Erschienen
2020
Sprache
Deutsch
Seiten
320
Infos
320 Seiten
ISBN
978-3-641-25686-9

Kurztext / Annotation

Eine literarische Italienreise mit Hanns-Josef Ortheil.
Hanns-Josef Ortheil hat in seinen Romanen und Essays immer wieder von Orten, Landschaften und Menschen Italiens erzählt. Er mischt sich in typische Szenen des Alltags ein, frühstückt 'italienisch', vertieft sich in Architektur, Kunst oder Musik eines Landes, das seit den frühen Siebziger Jahren seine 'zweite Heimat' ist. In dieser Anthologie mit Passagen aus seinen Werken nimmt der Leser an den Streifzügen des passionierten Italienliebhabers teil, begleitet ihn durch Venedig, Rom, Neapel oder Sizilien, wandert mit ihm an der adriatischen Meeresküste entlang und entdeckt die hohen Freuden der italienischen Küche.

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Textauszug

Römisches Leben
Erste Ankunft in Rom

Anfang der siebziger Jahre bin ich nach meinem Abitur zum ersten Mal für längere Zeit nach Italien gereist. Ich war achtzehn Jahre alt und träumte davon, nach bestandenem Konzertexamen als Konzertpianist leben zu können. In Rom wollte ich mich zunächst um ein Stipendium am berühmten Conservatorio bewerben.

Seit dem fünften Lebensjahr hatte ich Klavierunterricht erhalten und mich zuletzt in meiner Kölner und Westerwälder Heimat durch intensives Üben auf die römische Aufnahmeprüfung vorbereitet. Damals sprach ich kein Wort Italienisch und fühlte mich bei meiner nächtlichen Ankunft auf der Stazione Termini zunächst unsicher und ängstlich. Dann aber durchstreifte ich Rom und erlebte eine der schönsten Nächte meines Lebens. Keinen Moment fühlte ich mich als Fremder, der eine starke Distanz zur Umgebung hätte empfinden können. Vielmehr erlebte ich Rom vom Anfang an als einen Stadtkörper, der mir entgegenkam und sich bereits während meiner ersten Schritte öffnete.

Mein nächtlicher römischer Spaziergang führte mich zum Petersplatz und am frühen Morgen auf die Höhe des Gianicolo. Von dort erhielt ich einen ersten Eindruck von der gesamten Anlage des alten Zentrums, dessen Straßen und Bauten sich lange Zeit kaum verändert hatten.

Ein Bruder meiner Mutter, der als Pfarrer in Essen lebte, hatte mir eine erste Adresse mit auf den Weg gegeben. Es war die der Kirche Santa Maria del Anima, die seit Langem die Hauskirche der deutschen Gemeinde in Rom war. Völlig unerwartet wurde ich dort spontan und herzlich aufgenommen und erhielt gleich eine erste Anstellung: Ich sollte im Frühgottesdienst die Orgel spielen.

So kam ich nicht nur in einem oberflächlichen Sinn glücklich in Rom an. Ich wurde vielmehr schon am ersten Tag meines Aufenthaltes »eingemeindet« und fühlte mich wie jemand, der sich genau dort befand, wohin er sich seit Jahren gesehnt hatte und wohin er nun auch gehörte.

Jetzt, ja. Ich sehe mich jetzt, wie ich zwei Tage nach dem endlich bestandenen Abitur auf der Stazione Termini in Rom ankomme. Ich habe nichts als meinen alten Seesack mit wenigen Utensilien dabei, und als erste Anlaufstation besitze ich nichts als die Adresse einer Kirche, die der deutschen Rom-Gemeinde gehört. Die Adresse habe ich von meinem Onkel erhalten, der mit dem Pfarrbüro der Gemeinde telefoniert und mich für den Morgen des kommenden Tages angemeldet hat.

Jetzt aber ist Nacht, es ist meine erste römische Nacht, und ich werde das wenige Geld, das ich bei mir habe, nicht für eine Übernachtung ausgeben, nein, ich werde meine erste römische Nacht im Freien verbringen. Und so gebe ich meinen alten Seesack an der Gepäckaufbewahrung ab und gehe ohne jedes Gepäck und nur mit einem kleinen Geldbetrag in der Tasche einfach los.

Ich stehe jetzt draußen im Freien, es ist kurz nach zweiundzwanzig Uhr, vor der Stazione Termini drängen sich die Ankommenden in die Busse und verschwinden ins Zentrum. Ich atme durch, ich bleibe stehen und schaue. Dort geht es zur Piazza della Repubblica, ja genau, und dort drüben ist das Thermenmuseum. Vor dem Bahnhof ballt sich eine wohltuende Wärme, die nach der langen Zugfahrt beruhigend wirkt. Ich gehe ein paar Schritte, spüre aber, dass mich etwas davon abhält, immer weiterzugehen. Ich habe es nicht eilig, ich habe Zeit, mich hier in der Nähe des Bahnhofs auf eine Bank zu setzen und nichts anderes zu tun, als zu schauen. Es sind etwa zweihundert Meter bis zur Piazza della Repubblica, einem kreisrunden Platz mit einer großen Brunnenanlage. Von dort geht der Blick einen breiten Corso hinab in die vom gelben Straßenlicht durchfluteten Häuserschluchten. Der unermüdlich fließende Verkehr. Die Kaffeearomen in der Nähe der Brunnen. Die hohen Pinien mit ihren hellbraunen, gefleckt im Neonlicht schimmernden Stämmen.

Beschreibung für Leser

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