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Produktdetails

Verlag
Aufbau Digital
Erschienen
2020
Sprache
Deutsch
Seiten
176
Infos
176 Seiten
ISBN
978-3-8412-1986-2

Kurztext / Annotation

'Katja Eichinger hat nicht nur ihren ganz eigenen modischen Stil, auch ihre Texte sind unverkennbar einzigartig. Großes Kino für den Kopf.' Christiane Arp, Chefredakteurin Vogue.

'Ich liebe Katja Eichingers Buch, ich habs gelesen, ich habs verschlungen.' Iris Berben.

Was ist Mode? Was erzählen wir über uns, wenn wir uns anziehen? Und woher kommt die Lust an Inszenierung und Selbstausdruck? In ihren persönlichen Essays schreibt Katja Eichinger über Handtaschen, Hermès und Habermas. Sie denkt über Fast Fashion und Nachhaltigkeit nach, über die Träume und Hoffnungen, die wir mit unserem Äußeren verbinden, über die Sehnsucht nach Selbstwert und Einzigartigkeit im digitalen Zeitalter und über Mode als politische Geste.

Ein radikal vergnügliches Buch, geschrieben mit wachem Blick und großem Gespür für die Sprache der Mode heute.

Mit Fotos des Fotografen Christian Werner.



Katja Eichinger studierte am British Film Institute und arbeitete als Journalistin in London, u. a. für »Vogue«, »Dazed & Confused« und die »Financial Times«. Nach ihrem Bestseller »BE«, der Biographie ihres verstorbenen Mannes Bernd Eichinger, erschien bei Blumenbar 2020 der Essayband »Mode und andere Neurosen«, der ebenfalls ein Bestseller wurde. Neben ihrer Arbeit als Autorin produziert Katja Eichinger Musik. Sie lebt in München und Berlin.

Textauszug

Streetwear oder Die Freiheit, die wir meinen

Die meisten verarbeiten den größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bisschen, das ihnen von Freiheit übrigbleibt, ängstigt sie so, dass sie alle Mittel aufsuchen, um es loszuwerden.

WERTHER, »DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER«

Es war ein lauer Frühsommertag am Starnberger See. Ich saß mit Freunden im Biergarten und aß Rhabarberkuchen. An den anderen Tischen ein geschmackvolles Meer aus Khaki und weißem Leinen. Die liberale Bourgeoisie Münchens hatte sich wieder einmal zu einem ästhetischen Ritual versammelt, um sich daran zu erinnern, warum sie nicht in Berlin wohnt. Plötzlich fiel meinem Freund Matthias ein älterer Herr in Schwarz auf. Er saß ein paar Meter entfernt mit dem Verleger Michael Krüger in ein Gespräch vertieft. »Ist das nicht ...?«. Bevor Matthias den Namen aussprechen konnte, flatterte sein Partner Gürsoy schon aufgeregt »Ja, ja, er ist es!« Ich kniff prüfend meine nicht besonders leistungsstarken Augen zusammen. In der Tat. Der Schopf weißer Haare und die leicht schiefe Nase ließen keinen Zweifel. Bei dem Herrn in Schwarz handelte es sich um Jürgen Habermas. Ich verschluckte mich kurzfristig an meinen Rhabarberstreuseln. Dies war ein außerordentlicher Moment. Ich befand mich nur wenige Bierkrug-Längen von einem der größten Denker unserer Zeit entfernt. Fast war ich noch sprachloser - wenn es denn eine Steigerung von sprachlos geben sollte - als an dem Tag, an dem ich in der Einkaufsschlange bei Karstadt hinter Elfriede Jelinek gestanden hatte.

Hier saß er nun, der Mann, der nachhaltig den Begriff der »Öffentlichkeit« geprägt und damit den Grundstein für die moderne Kommunikationstheorie geliefert hat. Habermas definierte in seiner 1962 veröffentlichten Habilitationsschrift »Strukturwandel der Öffentlichkeit« ein Idealmodell der Öffentlichkeit, bei dem alle Gesellschaftsgruppen Zugang zum öffentlichen Diskurs haben. Durch Vergleich der besten Argumente bildet sich dabei eine öffentliche Meinung, die zur politischen Entscheidungsfindung der Regierenden beiträgt. Das Volk klärt sich laut Habermas gegenseitig auf, um den Sieg der Vernunft zu gewährleisten. In einem Zeitalter, in dem der öffentliche Diskurs nicht so sehr von Ansichten, sondern von Algorithmen bestimmt wird, in dem Angst und Hass die sozialen Netzwerke überfluten, in dem Staatsoberhäupter und Nachrichtensender sich nicht mehr so sehr der Wahrheit, sondern eher Stimmungen und Unterhaltungswerten verpflichtet fühlen, wird einem bei so viel Glaube an Rationalität ganz warm ums Herz.

Und was war das Erste, das Habermas der Öffentlichkeit des Biergartens durch seine Anwesenheit kommunizierte? Welche Botschaft hatte einer der größten Denker unserer Zeit für uns in diesem Moment? In Absenz eines hörbaren Wortes waren es seine Turnschuhe, die am lautesten sprachen. Schwarze Turnschuhe mit weißer Sohle und auffällig weißem Logo der Marke Nike. Ein paar Jahre zuvor hatte er sich für den Kyoto-Friedenspreis mit einer Rede zum Thema »Freiheit und Determinismus« bedankt. Die Rede war damals im Tagesspiegel unter der Überschrift »Die Freiheit, die wir meinen« abgedruckt worden. Im Biergarten trug Habermas ein Paar Nike vom Modell »Free Ultra«. Ich war fertig mit den Nerven. Ob ihm die Ironie wohl bewusst war? Ich habe mich nicht getraut zu fragen.

Freiheit, das ist die Essenz des Turnschuhs. Mit einem Turnschuh ist man frei von Zwängen des normalen ledernen Schuhwerks; frei, um jeden Bewegungsdrang uneingeschränkt auszuleben. In diesem Sinn bedient der Turnschuh sowohl das Konzept der positiven als auch der negativen Freiheit, wie sie der Philosoph Isaiah Berlin 1958 in einer Vorlesung in Oxford definierte. Mit dem Turnschuh sind wir »frei von« (zum Beispiel Zwang, Not, Hunger, Gewalt) und »frei um zu« (zum Beispiel zu reden, reisen, schreiben). Dabei ist der Turnschuh unter dem Mode-Genre »Streetwear« ei

Beschreibung für Leser

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