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Auf den Flügeln der Erinnerung
Marion Radermacher

Auf den Flügeln der Erinnerung

Geschichten und Lieder für Menschen mit Demenz

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Produktdetails

Verlag
Francke-Buch GmbH
Francke-Buch
Erschienen
2016
Sprache
Deutsch
Seiten
95
Infos
95 Seiten
188 mm x 123 mm
ISBN
978-3-86827-570-4

Hauptbeschreibung

Die kurzen und heiteren Geschichten von Marion Radermacher sind speziell auf die Bedürfnisse an Demenz erkrankter Menschen zugeschnitten. Im Fokus stehen Kindheitserinnerungen und Themen, an die sich Betroffene oft noch besonders gut erinnern.
Jede Geschichte rankt sich um ein Lied, das den Zuhörern aus ihrer Kindheit bekannt ist, wie zum Beispiel:
• Hoch auf dem gelben Wagen
• Alle Vögel sind schon da
So lädt dieses Buch nicht nur zum gemeinsamen Lesen, sondern auch zum Singen ein.
Im Anhang sind sämtliche Strophen der verwendeten Lieder abgedruckt.

Erstes Kapitel

Das Vogelhäuschen




Schon seit vielen Jahren stand das alte Vogelhäuschen im Garten. Herr Schulze hatte es selbst gebaut – ganz stabil aus gutem Holz und mit Teerpappe auf dem Dach. Es stand mitten auf der Wiese, sodass man es vom Küchenfenster aus gut sehen konnte. Im Winter füllte Herr Schulze jeden Morgen eine Schale mit Vogelfutter und gab noch Rosinen und Nüsse mit dazu. Dann zog er sich den Mantel an und stapfte mit seinen hohen Stiefeln durch den Keller hinter das Haus und versorgte das Vogelhäuschen. Bald darauf sah man schon die ersten hungrigen Gäste herbeifliegen und schnell gab es ein munteres Treiben. Herr Schulze liebte es, den vielen Spatzen, Meisen und Finken vom Küchenfenster aus zuzusehen.
Besonders viel Freude machte es ihm, wenn sein kleiner Enkel Anton neben ihm auf einem Bänkchen stand und eifrig mit den Fingern gegen die Fensterscheibe tippte. „Opa, da – ein großer Vogel!“, rief er dann ganz aufgeregt, wenn auch einmal eine Amsel an das leckere Futter wollte.
„Ja, lass sie nur“, sagte Herr Schulze, „sie hat ebenso viel Hunger wie die anderen auch.“
„Aber sie ist doch schon so dick“, beschwerte sich Anton.
„Oh nein“, lachte Herr Schulze, „sie hat sich nur wegen der Kälte so dick aufgeplustert.“
So vergingen die Tage und Wochen und der Winter neigte sich dem Ende entgegen. Allmählich füllte Herr Schulze nicht mehr so viel Futter in das Vogelhäuschen, denn so langsam konnten sich die Vögel wieder daran gewöhnen, auch in der freien Natur etwas zu finden. Nur dem Anton wollte das gar nicht gefallen. „So wenig Körner, Opa!“, beschwerte er sich und machte sich seine eigenen Gedanken.
Am nächsten Tag brachte er eine kleine Geldmünze mit und legte sie auf den Küchentisch. „Opa, kauf neue Körner – ich helfe dir auch!“
Herr Schulze war ganz gerührt, dass Anton sein Taschengeld für die Vögel hergeben wollte. Aber es war nun schon einmal März und da war es mit dem Füttern bald vorbei. „Ich habe da eine andere Idee“, sagte Herr Schulze und nahm Anton auf seinen Schoß, „wir legen dein Geld und meins zusammen und kaufen ein bisschen Holz. Daraus bauen wir beide einen Nistkasten und hängen ihn hinten im Garten an einen Baum. Da können die Vögelchen dann ein Nest darin bauen und ihre Eier hineinlegen. Und bald gibt es dann kleine, weiche Vogelküken – was meinst du?“
„Oh ja, das machen wir!“ Begeistert klatschte Anton in die Hände und fröhlich stimmte Herr Schulze das bekannte Liedchen an:

„Alle Vögel sind schon da,
alle Vögel, alle!
Welch ein Singen, Musizier’n,
Pfeifen, Zwitschern, Tirilier’n!
Frühling will nun einmaschier’n,
kommt mit Sang und Schalle.“