0 0,00*

Produktdetails

Verlag
Transit
Melville
Erschienen
2015
Sprache
Deutsch
Seiten
256
Infos
256 Seiten
22 cm x 14.5 cm
ISBN
978-3-88747-314-3

Hauptbeschreibung

Im Dezember 2007 – in Kenia findet gerade ein von Gewalttaten begleiteter Wahlkampf statt, in den USA erklärt (der Halbkenianer) Barack Obama seine Präsidentschaftskandidatur – untersuchen Ishmael und O, zwei Detectives, den Mord an einem großen, schwarzen Mann im berüchtigten Ngong-Wald, außerhalb Nairobis. Als sie nach Nairobi zurückkommen, explodiert in einem berühmten, von politisch einflussreichen Kenianern und reichen Ausländern frequentierten Hotel eine Bombe. Weil viele Amerikaner unter den Opfern sind, ermittelt auch die CIA, die al Qaida oder somalische Islamisten hinter dem Terroranschlag vermutet. Die beiden Detectives stoßen auf eine Verbindung zwischen ihrem Mordfall und dem Anschlag und entdecken bei einer heftigen, aufregenden Jagd durch Kenia, durch Mexiko, die USA und Kanada einen politisch brisanten Hintergrund: eine international operierende Geheimorganisation von hohen politischen Beamten und Managern, die das Ziel verfolgt, die sich immer weiter zuspitzende afrikanische Misere (Gewalt, Korruption, Armut und Stammesfehden) durch gezielte Morde an führenden afrikanischen Politikern zu bekämpfen. In Kenia soll das erste Exempel statuiert werden. Die beiden Detektive müssen sich entscheiden, ob sie Terror im Namen des Guten decken oder bekämpfen sollen.
Der Autor zeichnet auf spannende, sprachlich sehr differenzierte Weise ein realistisches Bild von Afrika, seinen schier ausweglos erscheinenden Konflikten, seinen führenden und den verarmten Schichten, aber auch von Menschen, die sich mit diesen Verhältnissen nicht zufrieden geben.

Erstes Kapitel

Kapitel 1

WOLKEN ZIEHEN AUF

Einen Tag vor der Explosion im Norfolk Hotel standen O und ich mitten im berühmt-berüchtigten Ngong-Wald und blickten auf das, was von einem großen, schwarzen Mann im feinen Anzug noch übrig geblieben war. Die wilden Tiere des Ngong hatten ganze Arbeit geleistet, der Leichnam des Mannes sah eher aus wie ein Tierskelett. Diese Todesart war die schrecklichste – das Opfer hatte kaum noch etwas mit einem menschlichen Wesen gemein.
Es war um die Mittagszeit, aber es hätte genausogut Mitternacht sein können, so, als würden wir im Licht des Vollmonds nach Spuren suchen – das dichte Dach uralter Bäume ließ nur irritierendes Dämmerlicht durch - zu wenig, um gut sehen zu können, aber zu hell für eine Taschenlampe.

O sagte es zuerst.
'Dieser Mann hat viele Geheimnisse zu erzählen.' Er zeigte auf dessen Gesicht – ein verstohlenes Lächeln war darauf zu erkennen, als ob sich er über seine Entdeckung freuen würde.

Das war der springende Punkt beim Ngong-Wald: eine Leiche, die dort abgelegt wurde, hatte immer eine Botschaft im Gepäck.

In den Vereinigten Staaten gibt es die Wüste von Nevada – und Football-Stadien, denkt man an Jimmy Hoffa (dazu kommt eine Anmerkung). Wenn dir in Kenia jemand einigermaßen überzeugend erklärt, er oder sie würde dich am liebsten in den Ngong befördern, dann sollte man besser klein beigeben, es sei denn, man kommt ihnen zuvor und befördert sie dahin.

Ich lebte noch nicht so lange in Kenia, aber ich könnte eine Menge Namen runterrasseln: J.M. Kariuki zum Beispiel, ein Radikaler in diesem oder jenem Punkt, wurde zu Tode gefoltert, seine Leiche von einem Hirtenjungen gefunden. Robert Ouko, ein sehr smarter Politiker, der angeblich im Ngong Selbstmord beging: Zunächst verstümmelte er sich, dann – nachdem er nicht verblutete – setzte er sich in Brand, bevor er sich schließlich in den Kopf schoss. Alle Zeugen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung starben unter mysteriösen Umständen, ebenso wie der Hirtenjunge, der – wieder – die Leiche gefunden hatte.

Immer war es ein Hirtenjunge, der sich in die Tiefen des Waldes hinein wagte und die Toten fand. In unserem Fall hatte er zufällig ein Handy dabei, und so konnten wir schon nach wenigen Stunden bei der Leiche zu sein.

O und ich hätten eigentlich gleich wieder verschwinden sollen Wenn man sich die exakte Kombination der beiden Schüsse ansah, einer dahin, wo das Herz sein musste, einer in den Kopf, schwante einem, dass das nur ein professioneller und effizienter Killer gewesen sein konnte – und genau deshalb hätten wir besser gleich abhauen sollen.

Wäre es irgendwann im letzten Jahr passiert, wir hätten genau das getan. Seit O und ich vor drei Jahren eine Agentur mit dem ziemlich cleveren Namen Black Star gegründet hatten, bearbeiteten wir die merkwürdigsten Fälle: von verschwundenen Penissen – leicht zu lösen mit einem spitzen Knie in die Leistengegend – über fremdgehende Ehegatten bis hin zu gefälschten Gemeinderatswahlen.

Wir kamen mal grad so über die Runden. Nur weil O immer noch für das CID, die kenianische Kriminalpolizei, arbeitete, konnten wir mal eine Vermissten-Sache, mal einen Mordfall übernehmen, und so einigermaßen flüssig bleiben. Deswegen war es eigentlich eine Gefälligkeit, dass uns Yusuf Hassan, Chef des CID, diesen Fall zuschanzte. Das CID würde für die Spesen aufkommen und mir zusätzlich ein Beraterhonorar zahlen.
Nicht nur, dass wir total abgebrannt waren, mehr noch: wir waren wie Boxer, die zu einfach zu Siegen gekommen waren und nun endlich gegen einen würdigen Gegner fighten wollten. Wir wollten es jetzt wissen, wie damals, bei unserem ersten gemeinsamen Fall, der uns beinahe das Genick gebrochen hätte – der Fall eines toten weißen Mädchens auf der Veranda eines afrikanischen Professors in Madison, Wisconsin. Gut, ich sage ja nicht, dass das Wiederfinden eines verschwundenen Penis’ reinste Zeitverschwendung wäre, aber manchmal will man etwas anpacken, was einem sein Bestes abverlangt, eine echte Herausforderung – nicht um eine Show abzuliefern, sondern weil man wirklich verdammt gut ist. Wir waren also scharf auf einen echten Auftrag – und auf ein bisschen Kohle.

'Wer immer ihn umgebracht hat, die Patronenhülsen hat er jedenfalls verschwinden lassen', sagte O, nachdem er den Fundort ohne Ergebnis abgesucht hatte.

Vorsichtig öffneten wir das zerfetzte Jackett, das immer noch feucht war von Körperflüssigkeiten und Regenwasser. Wir fanden ein paar zerknüllte amerikanische Dollars, einige Euros und kenianische Schillinge, aber keinen Ausweis. Seine Hosentaschen waren leer. Der Anzug ohne Etikett. Es hätte jeder sein können. Trotzdem, soviel wusste ich: Wer sich die Brutalität des Ngongo-Walds verdient hatte, der musste schon was Besonderes sein.

'Wir werden vielleicht niemals rauskriegen, wer das ist', sagte ich und wies auf die abgenagten Knochen, die mal seine Hände gewesen waren. Ein DNA-Abgleich war nur sinnvoll bei einer großen Datenbank – Kenia steckte da aber noch in den Kinderschuhen. Wir müssten also schon extrem viel Glück haben, um auf passende Daten zu stoßen. Und ein Zahnabgleich? Konnte man ebenso vergessen. Wir mussten darauf setzen, dass die Leiche selbst ihre Geheimnisse preisgab.

Es war jetzt nichts weiter zu tun, als die Leiche zum Pathologen zu bringen. Weil wir keine Leichensäcke dabei hatten, mussten die Polizisten sie vorsichtig in eine Wolldecke wickeln.

'Ishmael, man kann nicht im Ngong-Wald sein, ohne einen Joint zu rauchen', verkündete O und blinzelte zur Sonne hoch, deren Licht aber eher an Mondschein erinnerte.

'Wenn wir schon mal hier sind, sollten wir auch die Einsamkeit genießen', fügte er strahlend hinzu,.

O hatte sich in den Jahren kaum verändert – er trug immer noch dasselbe Lederjackett, selbst in der größten Hitze Nairobis. Obwohl er jetzt Anfang vierzig war, hatte er nicht zugenommen. Sein schmaler Körper ließ ihn größer erscheinen. Seine Augen waren ständig blutunterlaufen –das Ergbnis von zu wenig Schlaf und zuviel Gras.

Immer, wenn wir in eine gefährliche Situation gerieten, umspielte seine Lippen ein Lächeln, als ob er etwas wüsste, wovon der andere Kerl nicht das Mindeste ahnte. Es hatte ein bisschen gedauert, bis ich dahinter kam – er kannte kein Tabu, er konnte verletzen, quälen oder sogar töten, wenn es die Situation erforderte. Für ihn war es einfach Arbeit. Er hatte genug Tote gesehen und selbst getötet, um mit seiner eigenen Sterblichkeit klar zu kommen. Die meisten Kriminellen sind jederzeit bereit zu töten, aber nicht zu sterben – deswegen war O im Vorteil, wenn solche Scheißkerle ihm über den Weg liefen.

Es waren diese zwei Gesichter, fast wie eine Persönlichkeitsspaltung, die ihn letztlich so gefährlich machten. Im normalen Arbeitsalltag war er der gute Kerl; er war glücklich verheiratet und ging immer so früh wie möglich nach Hause. Sobald er jedoch die Welt der Mörder und Diebe betrat, passte er sich perfekt an und folgte ihren Regeln ebenso wie er sie brach. Es hatte Vorteile, mit jemandem wie O zu arbeiten – er zweifelte nie an seiner Sicht der Dinge, so dass er oft eiskalt wirkte. Solange man sich auf derselben Seite befand, war man sicher. Früher hatte ich das bewundert, doch seit einiger Zeit bekam ich Angst davor, dass das, was immer seine inneren Widersprüche in der Balance hielt, mal aus den Fugen geriet – und ich dann zufällig auf der anderen Seite stand.

'Dieser Ort, er erinnert mich dran, welches Glück ich doch hab – am Leben zu sein und das hier wieder verlassen zu können.'

'Brauchst du wieder einen Vorwand, um zu kiffen?' Ich glaubte ihm kein Wort.

Er lachte. 'Nein, Ishmael, um das Leben zu feiern', und blies eine Wolke Marihuana in den Wald.

Es war eine gute Meile bis zur Straße; O versank immer tiefer in seinen Rausch, ich in meine Gedanken, während ich in den Wald hineinhorchte. Es gibt verschiedene Arten von Stille: die eine, wenn wirklich alles um einen herum still ist; die andere, wenn alles sich in einem bestimmten Rhythmus bewegt, nur du nicht – wie die Stille, die von flimmerndem Rauschen begleitet wird. Die Stille im Ngong-Wald war diese laute Stille. Wir waren nicht lauter oder weniger laut als der Wind, der durch die Bäume strich, oder die lachenden Hyänen, die brüllenden Leoparden und Gott weiß was noch; wir Menschen machten einfach andere Geräusche. Das Geräusch von Kleidern, die an den Büschen hängenbleiben und zerreißen, von gut gefütterten Schuhen, die über das Unterholz streifen und es zertrampeln, das Fluchen, wenn die nackte Haut von Dornen aufgerissen wird. Als wenn man in einer lauten Band immer die falschen Töne sang. Dieses Gefühl, hier zu sehr als Mensch aufzufallen, steigerte in mir den Wunsch, aus diesem verdammten Wald schnell wieder rauszukommen.

Endlich erreichten wir die Straße. Die beiden anderen Polizisten, die wir dort postiert hatten, um irgendwelche Geister oder Diebe daran zu hindern, die Polizeiwagen zu klauen, waren sichtlich erleichtert, als sie uns kommen sahen. Sie halfen uns bereitwilligst, die Leiche in eine weitere Decke zu hüllen, hievten sie auf die Ladefläche ihres Pick-Ups und brachten sie zum Pathologen.

O und ich fuhren wie so oft zur Broadway’s Tavern, um den Fall bei Tusker Bier und Ziegenbraten zu diskutieren. Dabei hatten wir immer unsere besten Einfälle.

Broadway’s Tavern, zwischen dem Kangemi Slum und dem stinkreichen Mountain View Estate gelegen, war seit einiger Zeit unser Lieblingslokal. Es war eine eigenartige Bar, selbst an ihren besten Tagen. Diebe, Politiker, Prostituierte und Bullen machten hier bei Bier und Ziegenbraten ihren Frieden. Es war der Ort, wo sich alle trafen, die in kriminelle Geschäfte verwickelt waren, egal ob sie die Guten oder die Bösen darstellten. Es war eine informelle Börse für Informationen, in der Polizisten und Räuber Tipps austauschten – nützliche Transaktionen, letzten Endes aber im ureigenen Interesse. In Fragen von Leben oder Tod war es für die Kontrahenten immer von Vorteil, sich wenigstens eine Tür offen zu halten – Leben von Bullen und des einen oder anderen Kriminellen waren so schon gerettet worden.

Normalbürger waren nicht gern gesehen – aber wahrscheinlich käme jemand ohne Verbindungen zur Unterwelt sowieso nie auf die Idee, sich hier blicken zu lassen. Die Bar bestand nur aus einem einzigen großen Raum mit Stühlen aus dünnem Bambus und Holztischen, einer Jukebox und einem langen Tresen. Wenn man das Gebäude bis zur Rückseite umkreiste, sah man im Freien eine Küche, die nur zweierlei anbot: nyama choma und ugali, einen Maisbrei, den ich manchmal in Erinnerung an den Grießbrei zu Hause zu mir nahm.

Es gab allerdings strenge Regeln, die einzuhalten waren: Leute, die ihre Frauen schlugen, Vergewaltiger, Mörder und Kleinkriminelle wussten, dass sie im Broadway’s nichts zu suchen hatten. Und es passierte nicht selten, dass jemand von der Bar einen kleinen Ganoven zurückpfiff, der den Fehler beging, sich bei einem der feineren, professionellen Kriminellen einzuschmeicheln.

Die Bar ergab auch noch in anderer Hinsicht einen Sinn – der Unterschied zwischen der kenianischen Polizei und kenianischen Kriminellen besteht eigentlich nur darin, dass sie der Zufall auf die eine oder die andere Seite des Gesetzes stellte. O, um ein Beispiel zu nennen, hätte genauso gut ein Krimineller sein können – und je länger ich in Kenia lebte, desto mehr hatte ich den Verdacht, dass es bei mir nicht anders war. Es gab keinen Grund, die anderen für den Weg, den sie gewählt hatten, zu missachten. Und letzten Endes war das Broadway’s der lebende Beweis dafür, dass wir Bullen akzeptiert hatten, dass es das Verbrechen immer geben würde. Und wir beschlossen hatten, uns mit einer Kriminalität, die eine Art professionellen Anstand besaß, zu arrangieren.

Wir betraten die Bar in dem Moment, als die Fünf-Uhr-Nachrichten losgingen. Es hatte Monate gebraucht, mich daran zu gewöhnen, wie heilig den Kenianern die Nachrichten waren. Alle Bars schalten ihre TV-Geräte pünktlich auf einen der Nachrichtenkanäle um, selbst dann, wenn gerade die Wiederholung eines europäischen Fußballpokal-Spiels läuft. Es wirkte wie ein gemeinsames Gebet, nur dass in diesem Fall auch noch Gesprächsstoff für den Biertisch abfiel.

Wie in den Staaten waren die Nachrichtensprecher in Kenia jedem ein Begriff – an diesem Abend war Catherine Kasuvuki dran, die Katie Couric (Anmerkung) von Kenia. MC Hammer (Anmerkung) brüllte sofort los, dass er sie heiraten wolle. Bekleidet mit der für den echten MC Hammer typischen goldfarbenen Hose, mit ergrauter, aber rotgefärbter Punkfrisur war diese Ausgabe von MC Hammer der Narr hier am Hofe der Polizisten und Räuber. Er kannte jeden und wusste von allem etwas. MC Hammer war so etwas wie ein Clown mit einer Maske.

Senator Obama dominierte die Nachrichten, wie immer, seit er im letzten Februar seine Kandidatur erklärt hatte – diesmal ging es um Vorwürfe, er sei kenianischer Bürger und kein Amerikaner. 'Als ob es ein Verbrechen ist, Kenianer zu sein', spottete MC Hammer.

O und ich waren damals auf dem Rückweg in die Stadt gewesen, ich schaltete das Radio ein und da kam es. Barack Hussein Obama verkündete seine Kandidatur. Zurück in Nairobi erwartete uns ein ohrenbetäubendes Hupkonzert, einige schwenkten Obama-Poster, andere verkauften T-Shirts und Kaffeetassen. Viel später wurde noch ein Obama-Bier unter dem Namen 'Senator' aus der Taufe gehoben, wobei Leute, die es wissen mussten, behaupteten, dass es bloß normales Tusker in einer Obama-Dose war.

'Eh, Ishmael, wie fühlst du dich jetzt?', hatte O gefragt. 'Einer von euch als Präsident der USA?'

Für mich war Obama immer genauso schwarz gewesen wie ich. Schwarze hatten in den Staaten schon überall ganz vorne mitgespielt – beim Aufbau des Landes, bei Erfindungen, in der Wissenschaft, im Sport –, aber wir blieben eigentlich immer Außenseiter. Und nun, endlich, im Weißen Haus? Trotzdem – da war etwas, was ich schwer erklären konnte: Ich hatte nicht das Gefühl, dass er wirklich für mich sprach. Aber ich denke, dieser Moment war bedeutender als das leichte Zweifeln einer Person. Bill Clinton, als erster schwarzer Präsident? Es war höchste Eisenbahn, schwarz geschminkte Präsidenten loszuwerden. Ich wollte, dass Obama gewinnt.

'Wie zum Teufel überstehen das bloß die Rassisten?', fragte ich O.

'Lass dich überraschen – wir hatten immer schwarze Präsidenten, und schau dir Afrika an, schau dir an, wie zerrissen.', Er drehte seinen Kopf zu mir, um zu sehen, wie ich reagiere.

'Komm, freu dich, es wird schon werden', sagte O etwas freundlicher, nachdem ich nicht geantwortet hatte.

Als ob er auf dieses Stichwort gewartet hätte, meldete sich der kenianische Präsident im Radio und erklärte den folgenden Tag zum öffentlichen Feiertag. Das war ein cleverer Schachzug; das ganze Land hätte morgen sowieso einen Kater gehabt.

Für einen Moment hatte ich Heimweh. Der stabile, aber etwas langweilige Lebensrhythmus im kleinen Madison, Wisconsin, wo ich aufgewachsen war; meine Eltern und ihr gespielter Wohlstand; die schöne Mo, Journalistin mit dem Pulitzerpreis, die ich geliebt hatte, die in mir aber nur den schwarzen Bullen sah; die Vereinigten Staaten mit ihrer rassistischen Spaltung in Klassen und Hautfarben In diesem einen Moment trauerte ich der Karriere nach, die ich aufgegeben hatte. Ich vermisste mein anderes Leben, mein Parallel-Leben, das Leben, das ich eigentlich hatte leben sollen, in dem es keine Liebe zu einer Frau wie Muddy gab und keinen Partner wie O – das Leben mit Aussicht auf eine Pension, und selbst wenn ich es nicht soweit schaffte, würde man sich um meine Sachen kümmern. Ich vermisste sogar den Euphemismus: 'Gestorben in Ausübung seiner Pflichten'. Aber nur für einen kurzen Moment, denn hier war das Leben, für das ich mich entschieden hatte, hier in diesem Land.

Es folgten Nachrichten über die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Kenia – die üblichen Schimpftiraden – der So-und-So war korrupt, vertrat nur seine Stammesinteressen, oder – offenbar noch schlimmer – war ein Berufspolitiker. Eine Nachricht weckte unsere Neugier: Im Hafen von Mombasa waren große Depots mit Macheten entdeckt worden – made in China, so wie wie alles und überall. Es war nicht klar, für wen oder welchen Zweck die bestimmt waren, der Zoll untersuchte die Angelegenheit noch.

'Ich hab was zu sagen', sagte MC Hammer, als die Nachrichten in die Werbung übergingen, stand auf und wedelte mit den Händen vor seinen leuchtend goldfarbenen Hosen. 'Die Kenianer übernehmen die Welt. Macheten aus China. Alle, die böse Absichten haben sollten, denkt daran: You can’t touch this', (Anmerkung: 'Da kommt ihr nicht ran.' Zitat aus einem MC Hammer-song) Sprach’s und begann zu tanzen. Die ganze Bar schüttelte sich vor Lachen.

'Kein Grund zur Sorge', ein Betrunkener, der sich an seiner Flasche Tusker festhielt, mischte sich ein. 'Wir töten gern mal ein bisschen im Wahlkampf – aber Lust auf so was wie Ruanda haben wir auch nicht. Es geht vorbei. Ein bisschen Blutvergießen, um die Demokratie zu preisen. Eine chinesische Machete? Meine Birne ist wie eine Festung – undurchdringlich.' Vom Gelächter angefeuert, stand er auf, trank sein Bier auf Ex und zerschlug die Flasche Tusker auf seinem Kopf.

'Ich frage mich, wie unser Kerl in diesen ganzen Schlamassel hineinpasst', sagte O zu sich selbst.
'Welchen Schlamassel?', fragte ich.
'Dieser ganze Scheiß – irgendwie hat er mit allem zu tun – den Wahlen, den Staaten, Kenia', er ließ seinem Bauchgefühl freien Lauf.
O rief Hammer zu uns, und der schwebte herbei.
'Welche Uhrzeit haben wir?', fragte er uns.
'Hammer Time (Zitat aus dem Song)', antwortete ich. Er lachte und setzte sich.
'Hast du in letzter Zeit irgendwelche Spukgeschichten aus dem Ngong-Wald gehört?', fragte O.
Hammer zögerte.
'Mein Kehle ist sehr staubig, voller Spinnweben – das einzige Mittel dagegen ist ein Nektar der Götter', sagte er schließlich.
O bestellte ein Tusker für ihn. Hammer wartete, ohne ein Wort zu sagen, bis es kam und nahm einen Schluck.
'Dieser spezielle Geist war ausgestattet mit einem Schuss in den Kopf und einem ins Herz – sehr sauber', erklärte O.
'Wir arbeiten nicht so sauber – ein Ausländer muss ihn getötet haben. hab nichts gehört, aber es klingt nach einer Sache, die Hammer hier nicht haben will – wenn es um Verbrechen geht, bin ich Nationalist. So was sollen Kenianer unter sich ausmachen.' Er nahm sein Bier und schwebte wieder davon. Wenn er etwas rausfand, würde er uns das wissen lassen – vielleicht.
'Unser Kerl passt nirgendwohin, solange wir nicht mehr wissen. Wir müssen herausfinden, wer er ist, dann knacken wir den Fall. Bis jetzt wissen wir einen Scheißdreck', sagte ich zu O.
'Ich brauch ein bisschen frische Luft', sagte der und ging raus, um einen Joint zu rauchen. Dies hier war eine strenge Nichtraucher-Bar – das galt für Zigaretten, Gras und alles andere.

Ich war müde. Ich musste nach Hause. Ich machte mir keine Gedanken, O hier allein zu lassen, so betrunken und high; irgendjemand, Freund oder Feind, würde dafür sorgen, dass er heil in seinen Landrover kam. Ich nahm ein Taxi nach Limuru und bat den Fahrer, mich einige Blocks vor meinem Haus abzusetzen. Es war eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, denn in dieser kleinen Stadt brauchte man nur zu fragen, wo denn dieser Amerikaner wohnte. Trotzdem, ich fand es so besser als jemanden, der mir an die Wäsche wollte, direkt zu meiner Adresse zu führen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich Muddy an ihrem Tisch sitzen. Sie schrieb, einen Joint und einen Kaffee neben sich. Ich starrte sie einige Augenblicke an, fasziniert von ihrem todernsten, schönen Gesicht, das im Auf und Ab der Rauchwolken sichtbar wurde, während sie paffte und tippte. In Momenten wie diesen stellte ich mir vor, mit ihr alt zu werden – die Welt behielte die sanfte Schönheit des hereinfallenden Sonnenlichts, und das einzige, was sich änderte, wäre, dass Muddy und ich älter und älter würden.
Sie trug ein rot-grün-schwarzes Wickelkleid, perlenbesetzte Ohrringe, und anders als bei ihren Auftritten hatte sie ihre Rastalocken oben locker zusammengebunden, so dass sie ihr Gesicht umspielten.

Unter den gegebenen Umständen hätte sie damals in Ruanda sterben müssen. Oft wünschte sie sich, es wäre so gekommen – denn nachdem sie dem Tod, der ihr alle nahm, die sie liebte, entkommen war, lebte sie in einem Körper, der sich nicht mehr wie ihr eigener anfühlte. Sie schloss sich dem Widerstand an, tötete wieder und wieder – es war schwer, mit solchen Erinnerungen weiterzuleben.

Inzwischen etwas älter, hatte ihr Gesichtsausdruck jene Unschuld verloren, die ich vorher niemals gekannt, mir aber immer vorgestellt hatte, und die Härte, die ich kennengelernt hatte, konnte nun schnell in ein Lächeln übergehen. Sie machte sich mehr Sorgen um das Leben, um ihres und das der Menschen in ihrer Nähe. Als ich sie zum ersten Mal traf, versuchte sie sich gerade über einige Dinge klar zu werden und fühlte sich deshalb ziemlich sicher; jetzt, wo sie sich geklärt hatten, fühlte sie sich weniger sicher, so wie ich und jeder andere auch.

Es klopfte an der Tür. Es war O, der uns nach ein paar Zügen aus Muddys Joint anbot, Frühstück zu machen. Wir stöhnten, denn wir wussten, dass es wieder auf ein Omelett hinauslief, das gleiche, das er seit Jahren machte, wobei er die Mischung der Zutaten jedesmal geringfügig änderte. Jahrelang hatte er das perfektioniert. Dennoch war es ein ordentliches Essen, und die Ernsthaftigkeit, mit der er sein Omelett zubereitete, tat meiner Laune gut.

'Wie gehts deiner schon so lange vermissten Frau? Nach der Show sollten wir zusammen ausgehen, oder?' fragte Muddy. Sie hatte einen Auftritt im Carnivore Hotel vor der kenianischen Elite und vor Touristen, die gerne dahin gingen, um kenianische Wildtiere zu verspeisen – Krokodile, Zebras und, gegen einen Batzen Geld, auch schon mal ein Tier, das unter Artenschutz stand.

Wieso kamen Muddy und Mary miteinander klar? Ich hatte mich das oft gefragt. Mary hatte alles richtig gemacht, außer dass sie O geheiratet hatte– wie Muddy und ich im Scherz sagten. Und da war was Wahres dran. Irgendwann aber hatte ich begriffen, dass O einfach der Mann war, in den sie sich verliebt hatte – und sie hatte darüber weniger Kontrolle als über ihre Entscheidung, eine pädagogische Hochschule zu besuchen und danach ihr Leben dem Ziel zu widmen, jedes Jahr zumindest einen von hundert Schülern an der Kangemi Primary School zu retten. Vermutlich hatte ich wie Mary keine echte Wahl: Muddy war die Frau, die ich liebte.
'Yeah, mit dem Unterrichten ist es bald vorbei. Ich kann das Gelobte Land schon sehen – und Ishmael, wir werden es rot anstreichen', sagte O und lachte zwischen zwei Zügen.
'Und Janet? Kommt sie?', wollte Muddy jetzt noch wissen. Janet war Marys quasi adoptierte Tochter, inzwischen im ersten Jahr an der Nairobi Universität. Ihre wirklichen Eltern lebten noch immer in Mathare, tranken noch immer reichlich illegal gebrannten changaa. Flüchtlinge aus Ruanda, die ihr Seelenheil in der Selbstzerstörung gefunden hatten. Vor Jahren hatten O und ich Janet vor einem Vergewaltiger gerettet und vor einem Leben, das direkt in die Hölle geführt hätte. Muddy hatte ihr als erste neue Hoffnung gegeben, aber es war Mary, die dann ihre Ersatzmutter wurde.

'Sie schafft’s nicht, Prüfungen. sagt sie jedenfalls. Ich denke, sie hat was anderes vor – dein Auftritt oder lieber mit Freunden Spaß haben?', antwortete O.

'Meine performance, ich möchte, dass sie von aufrechtem Zorn und Hoffnung getragen ist. Was meinst du, O? Können Zorn und Hoffnung nebeneinander existieren?', fragte Muddy. Mir war klar, beide waren wieder high. Das liebten sie am meisten – bei einem Joint zu philosophieren. O hörte auf, die rote Zwiebel zu hacken.
'Yeah, das können sie. Hoffnung in einer Zeit wie dieser', er fuchtelte mit seinen Händen herum, 'Hoffnung allein hat nichts, woran sie sich festhalten kann. sie hat keinen Anker und keine Richtung. Du brauchst Wut, um die Hoffnung am Leben zu halten. Um ihr Schwung zu geben.' Er vergaß die Zwiebel und begann, Knoblauchzehen kleinzuhacken.
'Diese Sache da – ich ärger mich, dass diese Idioten nicht kapieren, dass die chinesischen Macheten nicht für die Landwirtschaft gedacht sind – und dann diese Phrasen, ich kenn sie nur zu gut', sagte Muddy.
'Muddy, du siehst doch hinter jedem Mist immer nur Ruanda. Das hier ist Kenia. Wir wissen, was Gewalt ist – als andere Afrikaner noch um ihre Unabhängigkeit bettelten, haben wir schon in den Wäldern gekämpft, vergiss das nicht', antwortete O.

'Okay, Castro Mao Guevara, ich kenn die Phrasendrescher – in Ruanda drückten sie sich ähnlich aus – ›ein kleiner Aderlass‹, so nennt ihr Kenianer das also? So etwas wie einen kleinen Aderlass gibt es nicht', sagte sie und versuchte, nicht allzu verbittert zu klingen.
O wollte gerade irgendwas sagen, aber Muddy hob ihre Arme, um ihn zu stoppen.

'Warte, warte. Jeder Tropfen Blut ist eine Flut', schrie sie, klatschte voller Freude in die Hände und kritzelte die Zeile aufs Papier.
O war nun damit beschäftigt, eine Tomate zu schneiden; den Knoblauch ließ er halb geschnitten liegen.
'Was fehlt noch in meinem verdammten Omelett?', fragte er.

Ich zeigte auf die Pilze und die grünen und roten Parikaschoten – alle aus Muddys Garten – die er noch klein schneiden musste. Sein Telefon klingelte.

Der Pathologe war am Apparat. Er hätte was für uns. Wir erwarteten keine großen Erkenntnisse. In den Staaten sagt man: 'Keine Leiche, kein Schuldspruch', aber in Kenia eine Leiche im Ngong-Wald zu finden, bedeutete, dass man bloß ein weiteres Indiz hatte, das so wichtig war, wie die Mächtigen es eben haben wollten.
'Fortsetzung folgt. Wir müssen los', sagte O zu Muddy. Wenn er high war, wollte er cool klingen, wie ein Rapper. Das irritierte mich nicht mehr. Der schwarze Pop aus Amerika war in Kenia allgegenwärtig, von den Kiswahili-Rappern bis zu den Teenagern in den Straßen von Nairobi, die aussahen wie arme Gangster geradewegs aus Camden, New York.
Ich küsste Muddy zum Abschied und folgte O nach draußen.

Peter Kamau erinnerte mich sehr an Bill Quella, den Coroner der Polizei in Madison. BQ war ein Südstaatler, aus dem Auge des Südens, wie er gerne sagte, und er liebte Südstaaten-Ausdrücke. Über ein Opfer sagte er mal, es sei voll mit Blut wie eine Zecke. Peter Kamau liebte Sprichwörter, Rätsel und Weisheiten, die ausnahmslos nur von seinem Arbeitsplatz her einen Sinn ergaben. 'Lieber tot als gar nicht' war sein Lieblingsspruch.

Kamau und BQ waren beide groß und schlank, und beide schmatzten beim Rauchen, wenn sie die Zigarette von einem Mundwinkel in den anderen schoben. Meine Theorie war, dass diese Art von Arbeit bestimmte Charaktereigenschaften verlangte, und eine davon war die Liebe zu besonderen Ausdrucksweisen. Im Gegensatz zu BQ war Kamau ein Hardcore-Christ, der jeden, der es auf seinen Seziertisch schaffte, in sein Gebet einschloss.

Als O und ich eintrafen, saß Kamau auf einem Barhocker in der Ecke, als ob er gerade einen Auftritt verfolgte. Die Lampen waren alle aus bis auf eine, die auf die Überreste des toten Mannes gerichtet war. Kamau sprang von seinem Hocker und machte Licht, aber er hätte es uns zuliebe auch lassen können. Ich hielt schon BQ’s Labor für eine Zumutung. In Kamaus Labor wurden Eisblöcke auf die Körper gelegt, um sie zu kühlen, und so war der Boden bedeckt mit dieser trüben Mischung aus lauwarmem Wasser und Körperflüssigkeit.

Er bat uns in sein Büro, das mehr dem eines Aufsehers in einer Fabrikhalle glich. Auf der selben Ebene gelegen, war das einzige, was es vom Labor trennte, eine Wand aus provisorisch zusammengehauenen und weiß gestrichenen Brettern, in die Fenster hineingesetzt waren. Wenigstens war der Fußboden trocken. Er hob seine Hände zum Himmel, als ob er uns segnen wollte.

'In dem Moment, wo ich die Leiche sah, wusste ich es, ich wusste, er wollte mir etwas sagen. Rede, und ich höre dir zu, sagte ich zu dem Mann. Aber du, du stell Fragen und du bekommst Antworten', sagte er zu O.
'Was hast du?', fragte O.
'Euer Mann ist schwarz', erklärte er.
'So ein Scheiß, Kamau. Natürlich ist er schwarz', sagte ich.
'Warte ab, öffne deine Ohren und du wirst hören – ich habe nicht gesagt, er sei Kenianer oder Afrikaner. Ich sagte, er war schwarz.' Er konnte seine Erregung kaum zurückhalten; aber er wartete, bis O ihn bat, das zu erklären.

'Größe: ein Meter siebenundfünfzig. Seine Kleidung, oder was davon übrig blieb, ist offenbar amerikanisch. Aber all das ist genauso viel wert wie der Satz: ›Wasser ist nass‹. Ich fand das hier in seinem Mund.' Er legte zwei kleine Kapselhälften auf den Tisch und zog eine Lupe aus seiner hinteren Hosentasche. Wir spähten über seine Schulter, als er mit einem Zahnstocher auf die Einkerbungen der Kapsel zeigte.
'Teile der Schrift sind verschwunden, aber wahrscheinlich heißt es Hydroxuyrea.'
'Okay. Und was ist das?', fragte ich.
Kamou richtete sich auf.
'Hydroxyurea', dozierte er, als ob er vor einer Grundschulklasse stand, 'ist ein Medikament, das man zur Behandlung von Sichelzellanämie einsetzt. Sichelzellen können vererbt sein oder man kann infiziert werden – hauptsächlich Schwarze sind davon betroffen. Diese Zellen sind gut für die Prävention vor Malaria, praktisch eine natürliche Immunisierung. Aber stellt euch vor, ihr wärt aus dem heißesten, Malaria-verseuchten Gebiet in Zentralafrika gekidnappt und dann in Malaria-freie Zonen verschleppt worden. Dann wird es zur Krankheit – nicht tödlich, aber schmerzvoll genug, um einen Doktor zu bemühen – und ich meine echten Schmerz, als wenn man ans Kreuz genagelt wäre.'
'Sichelzellen? Nie gehört', sagte O.
'Warum solltest du auch? Wenn du dich gesund fühlst, spielt die Krankheit keine Rolle', sagte Kamau.
Ich wusste nichts von Hydroxyurea, aber etwas von Sichelzellen. Meine Ex-Frau und ich wurden vor unserer Hochzeit darauf getestet. Sie hatte gesagt, sie wolle kein Kind mit Sichelzellen zur Welt bringen. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich das nächste Mal etwas über Sichelzellen erfahren würde von einem durchgeknallten Pathologen, als Indiz in einem kenianischen Mordfall, hätte ich ihn getestet, und zwar auf Drogen. Aber genauso war es jetzt - und ich war glücklich, dass meine Ex-Frau mir wenigstens einmal was Nützliches beigebracht hatte.

'Jeder zehnte Schwarze ist Träger von Sichelzellen. Ein Träger heiratet einen Träger, sie bekommen ein Baby mit denselben Merkmalen – die Chance ist tatsächlich gegeben. Das einzige Problem bei deiner Theorie, Kamau – unser Kerl da kann von überall her kommen, wo eben zwei Schwarze heiraten. Er könnte britisch sein – wir wurden ja nicht nur nach Amerika verkauft. Spanien? Brasilien? Kuba? Woher willst du wissen, dass er kein Kenianer war?' Ich konnte meine Verärgerung kaum verbergen.

'Komm schon, Ishmael, wie viele Kenianer kennst du, die irgendwelche Arzneien zu sich nehmen? Und glaubst du nicht, dass Haitianer oder Jamaikaner oder was weiß ich genug andere Probleme haben als sich um Sichelzellen zu kümmern?“, antwortete Kamau.
Er hatte recht. Bei all den vielen Krankheiten, die in Kenia Menschen umbringen, wären Sichelzellen sowas wie Migräne: eine Panadol-Pille und ab ins Bett.

'Und wisst ihr, was es bedeutet, wenn ich recht habe?' Kamau fixierte uns, als er weitersprach: 'Es bedeutet, dass der Tod eine.', er senkte seine Stimme, '… eine Überraschung war. Wer nimmt denn noch Medikamente, wenn er weiß, dass er in Lebensgefahr schwebt?'

'Ich glaub, Kamau ist da an was dran. Zwei saubere Schüsse – das ist kein Mord nach kenianischer Art. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann geschah der letzte saubere politische Mord im Jahr 1969 – ein Gewerkschaftler', überlegte O.
'Mord nach kenianischer Art? Erinnert ihr euch, was sie mit Ouko gemacht haben? Gefoltert, verbrannt und dann erschossen? Freunde, dieser Mann ist durch und durch amerikanisch, mindestens so wie Coca Cola.' Kamau lachte blöd und verpasste mir einen Stoß in die Rippen.

Über den AutorIn

Mukoma wa Ngugi wurde 1971 als Sohn des weltbekannten kenianischen Schriftstellers Ngugi wa Thiong’o in Evanston, Illinois/USA geboren, wuchs in Kenia auf und konnte dann Ende der achtziger Jahre dank seines amerikanischen Passes als einziger aus seiner politisch verfolgten Familie in die USA ausreisen und dort studieren. Er arbeitet als Literaturprofessor an der Cornell University und schreibt als politischer Journalist und Kolumnist für die BBC, für den Guardian, Los Angeles Times und verschiedene afrikanische Zeitungen und Zeitschriften. Er veröffentlichte literarische Anthologien und Gedichte. 'Nairobi Heat', sein erster Roman, erschien 2009 in New York und im Frühjahr 2014 auf Deutsch, und hat zahlreiche Preise gewonnen, sein zweiter, 'Black Star Nairobi', folgte 2013 (Melville, New York).