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Bitterzucker
Michael Ehrreich

Bitterzucker

Diabetes, Dialyse, Transplantation. Roman

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Produktdetails

Verlag
Edition Riedenburg E.U.
Oblasser, Caroline, Dr., e.U.
Erschienen
2009
Sprache
Deutsch
Seiten
112
Infos
112 Seiten
220 mm x 140 mm
ISBN
978-3-9502357-4-6

Hauptbeschreibung

Computerfreak Louis Seneks hat Stress. Doch anstatt sich um seine Gesundheit zu kümmern, gibt er Vollgas. Dabei überhört er diverse Warnsignale seines Körpers und kommt erst zu Bewusstsein, als es schon fast zu spät ist. Was folgt, ist ein jahrelanger Leidensweg als nierenkranker und an die Dialyse gebundender Patient. Während Louis selbst im Krankenhaus noch erotische Träume hegt und die süffigen, verbotenen Wassermelonen hinter dem schwesterlichen Gewand vermutet, geben seine Nieren langsam aber sicher den Geist auf. Dann geht es ganz schnell, und Louis erhält den lang erwarteten Anruf zur bevorstehenden Organtransplantation.

Erstes Kapitel

An der Stiege hinauf zum Büro entschied er sich, doch den Lift zu nehmen.
Er kehrte um, betätigte die Ruftaste des Aufzugs und wartete dann endlose
zwei Minuten, bis der Aufzug von der dritten Etage in der Parkgarage angelangt
war. Während der letzten Wochen war er wirklich froh gewesen, dass
es diesen Aufzug gab, denn das Stiegensteigen machte ihm große Mühe.
Vor allem am Abend, wenn er seine Füße in die über den Tag unerträglich
eng gewordenen Schuhe hineinzwängen musste. Niemals hätte er sich
gedacht, welche Probleme ihm ein Dreizehnstundentag im Büro bereiten
könnte.
Wenn er arbeitete, kam er kaum dazu, aufzustehen. Immer wieder stellte
ihn das Internet-in-a-Box-Server-Projekt vor Probleme. Im Grunde genommen
war Louis ja sogar froh darüber, weil er so erst spät abends in die
seit der Trennung von Nike so unendlich leer gewordene Wohnung, in den
unendlich leer gewordenen Feierabend zurückkehren musste. Dort hätte er
sich nur von neuem gefragt, warum sie ihn so einfach aus heiterem Himmel
alleine ließ.
Lachend hatten sie vorher noch über die Namen ihrer möglichen Kinder
diskutiert. Er hatte sich Mädchen gewünscht. Fußballspielen war nie seine
Sache gewesen. Bei zwei linken Fußballfüßen. Lasst sie Fußball spielen,
damit sie nicht an Mädchen denken, schrieb Handke in seinem „Die Angst
des Tormanns vor dem Elfmeter“ und spielte dabei auf den Typ von Klosterinternat
an, in dem auch er vor urlanger Zeit seine Knabenjahre verbracht
hatte. Er hatte lieber an Mädchen gedacht, weil er ein schlechter Fußballspieler
gewesen war. und deswegen, so hatte er Nike erklärt, wären ihm
Töchter auch viel lieber als Söhne. Mit Söhnen müsste er wahrscheinlich
Fußball spielen.
Nike hatte ihn verlassen. Ihn nackt und mit offenem Mund auf seinem
Bett sitzen lassen. Sie hatte gesagt: „Es ist aus, Louis, tut mir leid.“ Und als
er sie fragte, warum, antwortete sie nur, sie wisse es nicht. Er habe nichts
falsch gemacht, im Gegenteil. Nur dieses Gefühl, das sie am Anfang für ihn
gehabt habe, sei verschwunden. Und dann war sie gegangen. Hatte ihn in
der riesenhaft leeren Wohnung zurückgelassen.
Etwa zur gleichen Zeit hatte ihm die Firma diesen Auftrag zugeteilt. Ein
neues Produkt sollte entwickelt werden. Ein kleiner Internetserver für Kleinund
Kleinstbetriebe ohne großen Wartungsbedarf. Dankbar, ja beinahe
glücklich, stürzte er sich in diese neue Aufgabe. Was hätte er auch sonst
mit dem riesigen Haufen an Zeit, Kraft und Phantasie anstellen sollen, der
ihm nun plötzlich zur Verfügung stand. Jetzt, wo er niemanden mehr hatte,
An der Stiege hinauf zum Büro entschied er sich, doch den Lift zu nehmen.
Er kehrte um, betätigte die Ruftaste des Aufzugs und wartete dann endlose
zwei Minuten, bis der Aufzug von der dritten Etage in der Parkgarage angelangt
war. Während der letzten Wochen war er wirklich froh gewesen, dass
es diesen Aufzug gab, denn das Stiegensteigen machte ihm große Mühe.
Vor allem am Abend, wenn er seine Füße in die über den Tag unerträglich
eng gewordenen Schuhe hineinzwängen musste. Niemals hätte er sich
gedacht, welche Probleme ihm ein Dreizehnstundentag im Büro bereiten
könnte.
Wenn er arbeitete, kam er kaum dazu, aufzustehen. Immer wieder stellte
ihn das Internet-in-a-Box-Server-Projekt vor Probleme. Im Grunde genommen
war Louis ja sogar froh darüber, weil er so erst spät abends in die
seit der Trennung von Nike so unendlich leer gewordene Wohnung, in den
unendlich leer gewordenen Feierabend zurückkehren musste. Dort hätte er
sich nur von neuem gefragt, warum sie ihn so einfach aus heiterem Himmel
alleine ließ.
Lachend hatten sie vorher noch über die Namen ihrer möglichen Kinder
diskutiert. Er hatte sich Mädchen gewünscht. Fußballspielen war nie seine
Sache gewesen. Bei zwei linken Fußballfüßen. Lasst sie Fußball spielen,
damit sie nicht an Mädchen denken, schrieb Handke in seinem „Die Angst
des Tormanns vor dem Elfmeter“ und spielte dabei auf den Typ von Klosterinternat
an, in dem auch er vor urlanger Zeit seine Knabenjahre verbracht
hatte. Er hatte lieber an Mädchen gedacht, weil er ein schlechter Fußballspieler
gewesen war. und deswegen, so hatte er Nike erklärt, wären ihm
Töchter auch viel lieber als Söhne. Mit Söhnen müsste er wahrscheinlich
Fußball spielen.
Nike hatte ihn verlassen. Ihn nackt und mit offenem Mund auf seinem
Bett sitzen lassen. Sie hatte gesagt: „Es ist aus, Louis, tut mir leid.“ Und als
er sie fragte, warum, antwortete sie nur, sie wisse es nicht. Er habe nichts
falsch gemacht, im Gegenteil. Nur dieses Gefühl, das sie am Anfang für ihn
gehabt habe, sei verschwunden. Und dann war sie gegangen. Hatte ihn in
der riesenhaft leeren Wohnung zurückgelassen.
Etwa zur gleichen Zeit hatte ihm die Firma diesen Auftrag zugeteilt. Ein
neues Produkt sollte entwickelt werden. Ein kleiner Internetserver für Kleinund
Kleinstbetriebe ohne großen Wartungsbedarf. Dankbar, ja beinahe
glücklich, stürzte er sich in diese neue Aufgabe. Was hätte er auch sonst
mit dem riesigen Haufen an Zeit, Kraft und Phantasie anstellen sollen, der
ihm nun plötzlich zur Verfügung stand. Jetzt, wo er niemanden mehr hatte,
Minuten vergingen, bis er ihn einschalten konnte und der Server endlich
bootete.
Die ganze Zeit hatte sich gallig schmeckender Speichel in seinem Mund
gesammelt. Er kannte das, in den letzten drei Wochen war das jeden Tag
so gewesen. Und er wusste, es würde nicht mehr lange dauern, bis er sich
übergab. Er versuchte zwar, den bitteren Geschmack hinunterzuschlucken,
doch es gelang ihm nicht. Daher entschuldigte er sich bei den Anwesenden
mit kurzen Worten und machte sich, so schnell es ihm seine geschwollenen
Beine erlaubten, in Richtung Männertoilette auf. Verdammt, dachte er sich,
warum jetzt!
Gerade noch rechtzeitig erreichte er den stillen Ort. Ekelhafte Flüssigkeit
schoss mit großem Druck aus seinem Magen herauf und das Erbrochene
spritzte von den Wandkacheln zurück. Es hörte nicht auf. Immer
und immer wieder krampfte sich sein Magen zusammen, und mit jedem
dieser Krämpfe ergoss sich ein neuer Schwall von Kotze aus seinem Mund
in die Klomuschel, vor der er zuerst gestanden, dann gekniet und an der
er schließlich kraftlos wie ein Sack gehangen hatte. Er wünschte sich nur
mehr, dass er sterben könnte, dürfte, sollte. JETZT.
„Louis, Louis!“, rief Sabine von außen, um sich zu erkundigen, was denn
los sei. „Nichts, gar nichts.“, antwortete er. Das werde schon wieder, er
habe in letzter Zeit öfter solche Zustände gehabt. In ein paar Minuten sei er
wieder so weit und könne die Präsentation fortführen. Sie solle aber bitte
eine Putzfrau rufen, er habe hier eine ziemliche Sauerei hinterlassen.
“Au Sch.”, entfuhr es Sabine, als er ihr schließlich öffnete und sie ihn in
seinem Erbrochenen liegen sah. Sie bestand darauf, dass er heimginge und
sich ein paar Tage krankschreiben lasse. Ob ihn vielleicht ein Arbeitskollege
oder eine Arbeitskollegin nach Hause bringen könne? Das schaffe er schon
noch selbst, blockte er ab.
Glücklicherweise musste er heute für sein Micro-Car keine Parklücke suchen,
denn es war erst früher Nachmittag. Eine Viertelstunde blieb er hinter
dem Lenkrad sitzen. Dann stieg er aus, ohne seinen Rucksack mit den Unterlagen
von der Rückbank zu nehmen, schleppte sich zum Eingang, suchte
umständlich seine Schlüssel, sperrte die Haustüre auf und nahm den Lift bis
in den dritten Stock.
Endlich in seiner Garçonnière angekommen, entledigte er sich seiner
nach Kotze stinkenden Kleidung. Dann fiel er in sein Bett und wachte erst
auf, als gegen 20 Uhr seine Wohnungsklingel schellte. Sein Freund Joe wollte
ihn wegen einer Computersache um Rat fragen.
„Wie siehst du denn aus?“, fragte Joe entsetzt, und Louis erzählte ihm,
was vorgefallen war. Er bat Joe, ihm ein Glas Cola und eine Packung Salzstangen
aus der Anrichte zu holen. Ob er denn sonst nichts esse, fragte Joe,
nachdem er Louis‘ Lebensmittelvorrat gemustert hatte. Außer Salzstangen
und Cola könne er seit ungefähr drei Wochen nichts mehr im Magen behalten,
klagte Louis. Wenn Nike noch bei ihm wohnen würde, bekäme er sicher
eine kräftige Rindsbouillon. Aber spät nachts nach der Arbeit habe er einfach
nicht mehr die Kraft, sich selbst ein warmes Essen zu kochen. Joe solle
seine Beine ansehen. So geschwollen, wie sie jetzt waren, seien sie jeden
Abend. Und dann könne er nicht einmal mehr Schuhe anziehen, um in ein
Restaurant zu gehen. Am nächsten Morgen wäre dann alles wieder normal.
Allerdings nur, wenn er nachts die Füße hochlagerte.
Ob er schon beim Arzt gewesen sei, fragte Joe besorgt. Louis bejahte.
Was der Arzt denn dazu gesagt habe, wollte Joe weiter wissen. Dass er um
Ostern herum ins Krankenhaus solle, um eine Neueinstellung seines Diabetes
vorzunehmen. Aber ehrlich gesagt, meinte Louis, habe er keine rechte
Lust dazu. Er müsse das Blackbird-Projekt bis August fertig bekommen, die
Firma habe ihm eine fette Provision versprochen. Und dann würde er Urlaub
machen. In Irland, wohin er mit Nike reisen wollte, über grüne Wiesen
wandern, dem Brausen des Meeres in Dublin lauschen, wie es James Joyce
in Ulysses beschrieb. Aber nun solle endlich Joes Problem besprochen werden,
drängte Louis.
Als Louis Joe gegen 21 Uhr zur Tür brachte, spürte er wieder den bitteren
Geschmack in seinem Mund. Es dauerte nicht lange, dann stürzte Louis zur
Toilette und übergab sich und übergab sich und übergab sich. Er übergab
sich, bis er vor Erschöpfung nur mehr über der Muschel hing und sich nicht
mehr bewegen wollte. Wie durch einen Schalldämpfer hörte er Joe fragen,
ob er die Rettung rufen solle, denn so könne er ihn nicht alleine zurücklassen.
Louis versuchte, Joe zu deuten, dass ihm nun alles egal sei. Sollte, wer
auch immer, machen, was auch immer mit ihm gemacht werden sollte.
Als die Rettung eintraf, hatte Joe ihn bereits aus der Toilette gehievt, ihn
von seinen abermals über und über mit Erbrochenem getränkten Kleidern
befreit und den Kraft- und Willenlosen mit großer Mühe notdürftig in einen
Bademantel gepackt. Die Sanitäter fragten Joe nach den Umständen des
Zusammenbruchs, und Joe erzählte, was passiert war. Dann packten sie
Louis auf die Bahre und brausten davon.

Einführung oder Vorwort

Geleitwort

Krankheit ist, auch in Zeiten der modernen Medizin, ein Schicksal, das man sich nicht aussuchen und dem man sich noch weniger entziehen kann.

„Bitterzucker“ schildert das Erleben eines jungen Mannes, der von einem Nierenversagen als Folge eines Diabetes mellitus überrascht wird. Der Blickwinkel des Buches ist nicht medizinisch, sondern der des Betroffenen. Es geht um Freunde, Liebschaften, Bekannte, die Arbeit, die Leistungsfähigkeit, Vertraute – also das soziale Bezugsfeld, die Koordinaten des Lebens, und wie sie sich durch die Erkrankung verschieben.

Der Held des Geschehens klagt nicht, er sucht vielmehr Lösungen und Wege zu einem halbwegs normalen Leben für jemanden, dessen Nieren versagt haben und der die Dialyse benötigt, um zu überleben. Die Medizin steht im Hintergrund und wirkt zwar schicksalhaft bestimmend, aber die größten Probleme ergeben sich aus der Organisation des Lebens. Man ist mit dem Autor überrascht, welche Hindernisse sich aufbauen und wie gering das Verständnis und die Verständnisbereitschaft von Freunden für die neue Situation sind. Der Tenor ist deshalb keineswegs depressiv, trotz der nach wie vor ungünstigen Überlebensaussichten eines dialysepflichtigen niereninsuffizienten Diabeteskranken, was durchaus erwähnt wird.

Vielmehr schiebt der Held des Geschehens dieses Wissen in den Hintergrund. Auch die zusätzlich bestehenden Diabetesfolgen der Nerven und des Augenhintergrundes werden mehr als Hindernisse denn als Krankheiten erlebt und finden eher beiläufig Erwähnung. „Bitterzucker“ stammt aus unserer Gegenwart, der Verfügbarkeit des Internets, der Chatrooms und der sozialen Beziehungen, die sich dort anbahnen können. Bedürfnisse, Sehnsüchte und Phantasien eines jungen Menschen sind das Thema, und dies entfaltet die Spannung einer Story.

Die Geschichte hat auch eine medizinische Lösung anzubieten und damit die Perspektive einer wiedergewonnenen Normalität. Die mit der Transplantation verknüpften ethischen Aspekte werden thematisiert und erlauben einen Einblick in ein Thema, das jeden betreffen kann – als Spender.

Das Buch wendet sich mit Hinweisen und Problemlösungen aber auch an Dialysepflichtige.

Als Arzt war ich erstaunt, wie lange Louis Seneks, der Held des Romans, die Risiken seiner Erkrankung unterschwellig ausgeblendet hat, bis das eben nicht mehr länger ging. Dass ein Diabetes bei sorgfältiger Führung keineswegs so verlaufen muss, wie das in „Bitterzucker“ der Fall ist, sollte nicht unerwähnt bleiben, um Missverständnisse und Ängste neu Erkrankter zu vermeiden.

Ärzte können aus der Geschichte sicher ebenso viel Verständnis für ihre Patienten gewinnen wie Gesunde und dadurch vielleicht einiges von ihrer Scheu im Umgang mit krankheitsbedingten Behinderungen verlieren.

Andreas F. H. Pfeiffer

Prof. Dr. med. Andreas F. H. Pfeiffer ist Professor für Innere Medizin an der Charité Universitätsmedizin Berlin und Direktor der Abteilung für Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin am Campus Benjamin Franklin in Berlin sowie Leiter der Abteilung für Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung – Potsdam Rehbrücke in Nuthetal

Langtext

Bitterzucker - Der spannende Diabetes-Roman
von Michael Ehrreich

Über den AutorIn

Michael Ehrreich, Jahrgang 1968, studierte in Salzburg Germanistik und Publizistik und war unter anderem als Journalist tätig. Nach einem Forschungsaufenthalt im Nachkriegs-Zagreb verschlug es ihn als Kommunikationsfachmann nach Graz, wo er durch die Bekanntschaft mit Nierenleidenden Erfahrungen mit Diabetes, Dialyse und Transplantation sammelte. In "Bitterzucker" beschreibt er feinfühlig und detailliert, was es bedeutet, neben der vollen Gesundheit auch den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren.