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Heinz Kruschel

B.B., der Augenmensch

Gedanken über den Maler Bruno Beye

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Produktdetails

Verlag
EDITION digital
Erschienen
2020
Sprache
Deutsch
Seiten
108
Infos
108 Seiten
ISBN
978-3-96521-228-2

Hauptbeschreibung

Er lebt nicht mehr. In seinem letzten Lebensjahr besuchte ich ihn jeden Monat einmal. Er lag da und erzählte. Er konnte wunderbar erzählen und seine Erinnerungen artistisch modifizieren.
Als ich ihn das letzte Mal sah, lag er im Krankenhaus, das er nicht lebend verlassen sollte, schimpfte auf die Ärzte, auf das Essen und auf das Älterwerden. Still sollte er liegen, dabei fuhr er nun aus der Haut. Er war über achtzig Jahre alt und hatte noch viel vor. Pläne für ein Menschenleben. Ideen für Bilder, und er wollte noch so viele Bücher lesen.
Nun schreibe ich über ihn. Er hat gewusst, dass ich über ihn schreiben werde; Ich schreibe über ihn, weil ich seine grafischen Blätter mag, seine Aquarelle, seine Ölbilder. Aber das ist eine halbe Wahrheit. Ich kann natürlich lange vor einem seiner Bilder stehen, vor der in expressionistischer Manier gemalten Spiegelung von Bäumen auf der Fläche eines Tümpels oder vor einer brutheißen Straße in Sudenburg, einer eigentlich hässlichen Straße, deren Geschichte und deren Stimmung der Maler Bruno Beye einzubringen verstand. Wie er das machte, das weiß ich nicht. Wer weiß schon, wie Kunst entsteht. Viele seiner Arbeiten finde ich natürlich und notwendig.
In Wahrheit schreibe ich über ihn, weil ich mit ihm befreundet war, darum werde ich keine Urteile fällen, und ich werde mich auch hüten, ihn in die Kunstgeschichte einzuordnen. Obwohl er in ihr seinen Platz hat.
Heinz Kruschel

Textauszug

Bruno Beye hat sich vieler Motive und Techniken und Stilarten bedient, er nutzte sie alle, schnitt in Holz und Linol, aquarellierte, zeichnete, lithographierte, malte in Öl, radierte, blieb nicht unbeeinflusst von impressionistischen und expressionistischen Strömungen, aber immer interessierte ihn, wie Professor Dr. Kurt Pinthus anlässlich seines 75. Geburtstages feststellte, immer interessierte ihn am meisten der Mensch und dessen Angesicht, und im Menschen schließlich das Menschliche.
Alles hat sein Echo.
Alles, was der Mensch durchlebt und sieht.
Der Domplatz in Magdeburg nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Mit den Arbeitern holte sich Bruno Beye Gewehre aus der Zitadelle, und dann kam der General Maercker. Beye stand gegenüber der Post hinter einer Säule, während sie von den Türmen aus schossen.
Alles hat sein Echo, alles hat seinen Schatten. Vor Beye fiel eine alte Frau um, ihre Einkaufstasche platzte auf, Reis und Kartoffeln und Fisch lagen auf dem Pflaster. Kugeln pfiffen. Der Sohn der Frau, auch tot, die Schülermütze fest auf dem blonden Kopf.
Das vergisst sich nicht, solche Schatten werden nicht blasser mit der Zeit.
Beye verließ Magdeburg, lebte in Berlin, spielte mit den Dadaisten. Dann im Sauerland, in dem ihn die Farbe packte wie eine Offenbarung. Er zog durch die Länder, angetan mit einem schwarzen Manchesteranzug, dem roten Halstuch und der Baskenmütze, manchmal ließen sie ihn nicht einmal in die Herberge zur Heimat.
Er wanderte durch Italien, lebte auf Capri, zeichnete, malte, verkaufte auch einiges, kehrte zurück, packte ein Hemd, zwei Paar Strümpfe und seine Malutensilien in einen Koffer und fuhr nach Paris und ließ sich einschreiben in die Akademie Colarossi: „Manchmal habe ich meine Bilder verschenkten einen Ober, wenn der mit der Rechnung kam, denn ich hatte oft nichts zu fressen und kein Geld.“
Aus dieser Zeit stammen seine Kaffeehausblätter, und sicher stimmt es auch, dass sich zu seiner genauen Beobachtungsgabe und zu seinem karikaturhaften, entlarvenden Strich die französische Leichtigkeit, die Eleganz, die Charmanz gesellten, also der Einfluss der französischen Kunst.
Manchmal schrieb er Beobachtungen nach Hause, Artikel für die Presse, aber alles besah er mit den Augen des Malers, über Bellelle am Atlantischen Ozean: Wir betreten trockenen Fußes den Meeresgrund, dessen Vegetation im Sonnenglast glitzert, Algen, Meerblumen und seltsames Getier schillern in unirdischen Farben. Gleich vorsintflutlichen Ungetümen schrecken groteske Feldkolosse, deren verstümmelte Rümpfe aus dem gleißenden Schlamm herauswachsen, jene unheimliche Mystik umringt uns hier, die manchmal aus den Bildern Grünewalds oder Wolf Hubers auf uns eindringt …
Er liebte Paris, die Stadt war für ihn wie die Venus unter den Städten, die Geliebte, von der man sich losreißen musste, immer dann, wenn man sie um Weniges zu viel liebte. Er behielt seinen kritischen Blick, sah sozial genau hin, auf die vierzigtausend hungernden Maler, auf die Kunstschulen, die zum Malsportplatz amerikanischer Trustmagnatentöchter herabsanken, auf die politischen Flüchtlinge, die italienischen Sozialisten, die bulgarischen Agrarrevolutionäre, auf die Renegaten, auf die nationalistischen Spießer, auf die Modellmädchen. Und in den Cafés zeichnete er nicht nur die Stimmungen, er zeichnete politisch. In Mühsams Auftrag die bedeutendsten Anarchistenköpfe.
Er lernte Ehrenburg kennen und porträtierte ihn, auch Nenni.
Manchmal sind auf seinen Caféhausgrafiken nur wenige Köpfe zu sehen, en face, en profil, ganz abgewendet, und auch die, von denen wir nur die Rücken erkennen, erzählen Geschichten: arme Schnorrer, satte Spießer, Gelegenheitscasanovas, zementierte einstige Tanzmädchen, der hungernde Emigrant, der beobachtende Advokat. Ich besitze ein solches Blatt, und es kann einen Schriftsteller schon zu einer Geschichte verführen.
Wie das der Beye machte. Sparsam und ausgesucht, ein Zauber geht von den Blättern aus. Da fällt mir ein Satz Paul Gauguins ein, ein Satz aus dem Nachlass des Malers, der auf Beye zutrifft: „Was für Maler bewundern wir? Alle die, welche die Schulen getadelt haben, alle, die ihre Kenntnisse aus der persönlichen Betrachtung der Natur schöpfen.“

Über den AutorIn

Heinz Kruschel, 1929–2011, Sohn eines Bergmanns und späteren kaufmännischen Angestellten der Staßfurter Salzbergwerke, entging nur knapp dem für seine Generation typischen Schicksal, im finalen Aufgebot der letzten Kriegstage - dem "Volkssturm" - verheizt zu werden. Noch ehe er seine Modelltischlerlehre beendet hatte, beschloss die Partei, in die er jung eingetreten war, dass er Neulehrer zu werden habe, und ließ ihn 1949/50 am Lehrerbildungsinstitut in Staßfurt studieren. Anschließend war er Lehrer in Sandersdorf - den Schülern jeweils ein Kapitel im Lehrbuch voraus -, danach in Magdeburg und Egeln sowie Direktor einer Erweiterten Oberschule in Havelberg. Nach einem berufsbgeleitenden Fernstudium der Germanistik war er Journalist und Kulturredakteur bei der "Volksstimme" in Magdeburg. Ab 1963 lebte er als freier Schriftsteller in Magdeburg, bereiste im Auftrag von Illustrierten wie der "Für dich" Ungarn, Bulgarien, Usbekistan und Kuba und schrieb zahlreiche Erzählungen und Romane für Jugendliche und Erwachsene. Sein Roman "Das Mädchen Ann und der Soldat" wurde 25 Jahre lang immer wieder neu aufgelegt, während Bücher wie "Der Mann mit den vielen Namen" oder "Leben. Nicht allein" erst nach erbitterten Auseinandersetzungen mit jenen Behörden, die Literatur zu genehmigen hatten, erscheinen durften. Sein Roman "Gesucht wird die freundliche Welt", der als erster in der DDR das Thema des Umgangs mit straffällig gewordenen Jugendlichen thematisierte, wurde 1978 von Erwin Stranka unter dem Titel "Sabine Wulff" verfilmt. Auszeichnungen: Erich-Weinert-Preis der Stadt Magdeburg Theodor-Körner-Preis Banner der Arbeit Literaturpreis des FDGB Vaterländischer Verdienstorden