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Der imperiale Traum (Sonderausgabe)
John Darwin

Der imperiale Traum (Sonderausgabe)

Die Globalgeschichte großer Reiche 1400-2000

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Produktdetails

Verlag
Campus Verlag GmbH
Campus
Erschienen
2017
Sprache
Deutsch
Seiten
544
Infos
544 Seiten
25 Karten
231 mm x 154 mm
ISBN
978-3-593-50795-8

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Vorwort 9
1. Orientierungen 16
2. Eurasien und das Zeitalter der Entdeckungen 57
3. Das frühneuzeitliche Gleichgewicht 105
4. Die eurasische Revolution 156
5. Ein Wettlauf gegen die Zeit 213
6. Die Grenzen der Reiche 283
7. Der Weg in die Weltkrise, 1914–1942 346
8. Ende und Anfang – Alte Reiche und neue 400
9. Timurs Schatten 460
Anmerkungen 476
Weiterführende Literatur 523
Verzeichnis der Karten 534
Register 535

Textauszug

Imperiale Geschichten

Die ganze Weltgeschichte könnte man als imperiale Geschichte, als Geschichte von Reichen, deuten. Viele Historiker stellen Reiche als Abnormitäten dar, als unwillkommene Eindringlinge in nichtimperiale Welten. Ihr Aufstieg sei außergewöhnlichen Umständen oder der manischen Tatkraft einer außergewöhnlichen Persönlichkeit zu verdanken. Ihr Fall hingegen sei vorhersagbar, weil die außergewöhnlichen Umstände, welche den Aufstieg ermöglicht hatten, nur während eines begrenzten Zeitraums andauerten. Diese Sichtweise ist verlockend simpel, aber ihr Erklärungswert ist denkbar gering. Ein Blick auf die Weltgeschichte legt vielmehr die Vermutung nahe, dass zumindest in der Politik imperiale Macht während der meisten Zeit der Standard war. Imperien sind Systeme des Einflusses oder der Herrschaft, in denen sich ethnische, kulturelle oder ökologische Grenzen überschnitten oder schlicht ignoriert wurden. Ihre Allgegenwart lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass sowohl auf regionaler als auch auf globaler Ebene die Ressourcen, die für den Aufbau eines starken Staates erforderlich sind, sehr ungleich verteilt waren. Das war nicht nur eine Frage der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen oder der schiffbaren Flüsse, sondern der sozialen und kulturellen Solidarität und der Kapazitäten eines Staates, sowohl Menschen als auch Güter zu mobilisieren. Gerade diese »Modernität« ermöglichte erst die Schaffung eines riesigen chinesischen Reiches schon 2200 v. Chr. Gegen die kulturelle Anziehungskraft oder die militärische Gewalt eines imperialen Staates war Widerstand kaum möglich, sofern er nicht durch geographische Abgelegenheit oder ungewöhnlich festen Zusammenhalt eines Volkes aufrecht erhalten wurde. Selbst Staaten, die einer Unterwerfung entgingen, mussten zwischen den imperialen Mächten lavieren, damit sie nicht von den Kolossen zermalmt wurden.


Die meisten Reiche der Geschichte würden uns heute als bescheidene Gebilde erscheinen, mit einer kleinen Bevölkerung und begrenzter Reichweite. Selbst wenn wir uns auf die in diesem Buch behandelten Reiche beschränken, finden wir große Unterschiede. Unter dem Begriff der »klassischen« Reiche werden oft nur große agrarische Bürokratien verstanden. Ihr Hauptmerkmal war die Kontrolle des Landes und des Überschusses, den es hervorbrachte. Ein mehr oder weniger zentralisiertes Beamtentum, das eigens zu dem Zweck organisiert und rekrutiert wurde, die Macht des Herrschers gegen lokale Interessen oder grundbesitzende Aristokraten durchzusetzen, trieb die Steuern ein und sprach Recht. Das Ansehen des Herrschers war eine kostbare Ressource, die sorgfältig durch Abgeschiedenheit, Rituale und Zeremonien gepflegt werden musste. Nach dem Sturz des Römischen Reiches im Westen war China das beste Beispiel für ein auf diese Weise organisiertes Reich. Anderswo waren die Rahmenbedingungen in der Regel weniger günstig: Religion, ökologische Voraussetzungen oder die geographische Lage schlossen eine imperiale Herrschaft nach chinesischem Muster aus. Im mittleren Eurasien griffen die Herrscher stattdessen auf Militärsklaven (wie die Mamelucken) zurück, die an den Rändern des Reiches rekrutiert wurden. Als Fremde, die vom Wohlwollen des Emirs abhängig waren, oder als Konvertiten zum Islam hatten sie keine lokalen Beziehungen, weder ein Clan noch eine Familie beeinträchtigten ihre Treue zum Herrscher. Sie bildeten das Gegengewicht zur lokalen Solidarität der Städte, Stämme und einheimischen ländlichen Eliten. Aber diese Reiche unterscheiden sich wiederum erheblich von den Überseereichen, welche die Europäer Ende des 15. Jahrhunderts zu errichten begannen.


Natürlich entstanden diese »kolonialen« Reiche in unzähligen Varianten. In der Regel wurden sie nicht durch staatliche Aktionen gegründet, sondern durch private Abenteurer, die eine Konzession oder Charta ihrer heimischen Regierung besaßen. Einige stützten sich auf die Arbeitskraft der Bewohner von Gebieten, die sie erobert hatten, andere auf den Erwerb von Sklaven aus Afrika. Manche versuchten, die Gesellschaftsform zu kopieren (oder gar zu verbessern), die sie in Europa zurückgelassen hatten. Das waren die echten Siedlergesellschaften, aus denen sowohl Sklaven als auch indigene Völker weitgehend ausgeschlossen waren. Diese Formen der Kolonialherrschaft machten jedoch in Asien kaum Fortschritte. Fast 200 Jahre lang beschränkte sich die europäische Invasion in Asien auf Stützpunkte und Depots, Brückenköpfe und Vorposten, die eher aufs Meer hin ausgerichtet waren als auf das Landesinnere: Bombay, Goa, Pondicherry, Madras, Kalkutta, Batavia und Macao. Sie waren Teile maritimer Handelsreiche, die den Rand der großen Staaten Asiens säumten. Ihre Macht war, wenn überhaupt, auf der menschenleeren Weite der See zu spüren. Als die Europäer Ende des 18. Jahrhunderts anfingen, territoriale Dominien (vor allem in Südasien) anzuhäufen, zogen sie es vor, in die Fußstapfen früherer asiatischer Herrscher zu treten statt eine neue Ordnung nach »europäischen« Regeln zu gestalten. Ausgerechnet mit Hilfe des Steuersystems der Mogule, ein wenig aufpoliert und verschärft, verschaffte sich die Britische Ostindien-Kompanie nach der Schlacht von Plassey (1757) die finanziellen Mittel für den Aufbau eines subkontinentalen Raj.


Es wäre ein Fehler, einen allzu großen Unterschied zwischen »europäischen« und »asiatischen« Methoden zu machen. Doch im Laufe des langen 19. Jahrhunderts (1815–1914) veränderte sich die Arena durch die Folgen der Industrialisierung. Industrielle Technik ermöglichte es den Europäern, Länder viel schneller und in einem weit größeren Ausmaß zu kolonisieren. Sie verschaffte ihnen die Mittel, in neue Märkte vorzustoßen und alte Mitbewerber zu übertreffen. Sie vergrößerte die Fähigkeit, Informationen zu sammeln und sie wirkungsvoll zu nutzen. Vor allen Dingen steigerte Technik die Fähigkeit, physische Gewalt über weit größere Entfernungen hinweg und unter viel geringeren Kosten einzusetzen. Im Zeitalter des Dampfschiffes und später der Eisenbahn verlor strategische Abgelegenheit weitgehend ihre Bedeutung. Als eine europäische Armee auf Nanking marschierte (wie die Briten im Ersten Opiumkrieg von 1839–1842), schien kein Teil Asiens mehr sicher. Eine Folge der Entwicklung war, dass viele neue »Kleinindiens« zugelassen wurden: die Kolonialregime, die sich über ganz Asien ausbreiteten und nach 1880 Afrika unter sich aufteilten. Eine dritte Variante der Reichsbildung war die »unsichtbare Dominanz«:2 die systematische Anhäufung dominanten Einflusses über Regionen und Staaten, deren Herrschern nur eine nominelle Souveränität blieb. Wo europäische Bankiers, Diplomaten, Kaufleute und Missionare einen privilegierten Status genossen, den größten Teil des Überseehandels steuerten, am Geldhahn ausländischer Investitionen saßen und mit einer Blockade oder gar einem Bombardement drohen konnten, sobald ihre Interessen gefährdet waren, konnte die Mühsal der Regierungstätigkeit unnötig oder vergebens scheinen. Ein »informelles Reich« war – unter den Gesichtspunkten von Kosten und Nutzen – Imperialismus in seiner höchsten Form.

Hauptbeschreibung

Mitte des 15. Jahrhunderts begannen die europäischen Seefahrernationen, die Seewege Richtung Amerika und Indien zu erschließen. Doch was geschah damals in jenem Teil der Welt, der vom Ausgreifen des Westens zunächst relativ unberührt blieb? In seiner meisterhaften Geschichtserzählung zeigt der britische Historiker John Darwin, dass die asiatischen Reiche – China, Japan, das indische Mogul-Reich, das Osmanische und Russische Reich – lange Zeit erstaunlich stabil blieben. Erst um 1880 erlangte Europa ihnen gegenüber eine ökonomische und militärische Vormachtstellung, die es aber im Zuge der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts bald wieder verlor. Darwins elegant geschriebenes Standardwerk deutet die Weltgeschichte als imperiale Geschichte, als Globalgeschichte von großen Reichen, deren Aufstieg außergewöhnlichen Umständen oder der Tatkraft einer außergewöhnlichen Persönlichkeit zu verdanken war, deren Niedergang hingegen vorhersagbar sei, weil die außergewöhnlichen Umstände, die den Aufstieg ermöglicht hatten, nur während eines begrenzten Zeitraums andauerten.

Zitat aus einer Besprechung

»Dieses Buch wird über Jahre zum Standard werden.« Rheinischer Merkur

»Kaum ein Stein des welthistorischen Mosaiks seit der frühen Neuzeit bleibt von Darwin ungewendet.« Die Zeit

Über den AutorIn

John Darwin war von 1984 bis 2019 Beit University Lecturer für die Geschichte des Britischen Commonwealth an der Universität Oxford. Er gilt als einer der führenden Vertreter der Globalgeschichte.