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Produktdetails

Verlag
Anaconda Verlag
Erschienen
2017
Sprache
Deutsch
Seiten
256
Infos
256 Seiten
ISBN
978-3-7306-9168-7

Kurztext / Annotation

Boston, 1642: Die junge Hester Prynne will nicht verraten, wer der Vater ihrer unehelich gezeugten Tochter Pearl ist. Daraufhin verurteilt die strenggläubige Dorfgemeinschaft die Ehebrecherin dazu, als Zeichen ihrer Sünde ein scharlachrotes ?A? sichtbar auf ihrer Kleidung zu tragen.

Nathaniel Hawthorne (1804-1864) wurde als Spross einer alten puritanischen Familie in Salem, Massachusetts geboren. Sein Vater starb, als er vier Jahre alt war. Nach seinem Studium arbeitete er zunächst als Journalist, später im Zollamt von Boston. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1828. 1841 schloss er sich den Transzendentalisten an, einer Gruppierung um Henry D. Thoreau und Ralph Waldo Emerson, die eine naturverbundene, antimaterialistische Gesllschaftsordnung anstrebte. Er lebte vorübergehend in der sozialutopischen Brook-Farm-Kommune, beendete das Experiment jedoch nach einem halben Jahr. 1853 wurde er amerikanischer Konsul in Liverpool und lebte bis 1860 mit seiner Familie in Europa.

Textauszug

II
Der Marktplatz

Der Rasenfleck vor dem Gefängnis im Kerkergässchen war also an einem Sommermorgen vor nicht weniger als zwei Jahrhunderten mit einer ziemlich großen Anzahl von Einwohnern Bostons bedeckt, deren Augen aufmerksam auf die eisenbeschlagene Eichentür gerichtet waren. Bei jedem anderen Volk oder zu jeder späteren Periode der Geschichte von Neuengland würde die düstere Starrheit, welche die bärtigen Physiognomien dieser guten Leute versteinerte, verkündet haben, dass irgendetwas Entsetzliches bevorstehe: Sie hätte nichts Geringeres als die erwartete Hinrichtung eines bekannten Verbrechers bezeichnen können, bei dem der Spruch eines Tribunals nur den der öffentlichen Meinung bestätigt hätte. Aber bei der Strenge des Charakters der frühen Puritaner war ein Schluss dieser Art nicht so zweifellos zu ziehen. Es konnte sein, dass ein träger Dienstmann oder ein ungehorsames Kind, das seine Eltern der Zivilbehörde übergeben hatten, am Schandpfahl gezüchtigt werden sollte. Es konnte sein, dass man einen Antinomisten, einen Quäker oder anderen ungläubigen Sektierer aus der Stadt peitschen oder einen faulen indianischen Landstreicher, den das Feuerwasser des weißen Mannes zur Verübung von Straßenunfug getrieben, mit Striemen in den Schatten des Waldes hinausjagen wollte. Es konnte sogar sein, dass eine Hexe, wie die alte Mrs Hibbins, die bösartige Witwe einer Magistratsperson, am Galgen sterben sollte. In jedem dieser Fälle wäre ziemlich die gleiche Feierlichkeit auf den Gesichtern der Zuschauer zu bemerken gewesen, wie solches einem Volk ziemte, bei welchem Religion und Gesetz fast identisch und in dessen Charakter beide so vollkommen verschmolzen waren, dass die mildesten Handlungen der öffentlichen Disziplin ihm ebenso ehrwürdig und schauerlich erschienen wie die strengsten. Die Teilnahme, welche eine Gesetzesübertretung von solchen um die Schandbühne versammelten Zuschauern erwarten konnte, war in der Tat nur gering und kalt. Andererseits konnte eine Strafe, mit welcher in unserer Zeit unausbleiblich ein hoher Grad von spöttischer Infamie und Lächerlichkeit verbunden sein würde, damals von einer fast ebenso strengen Würde wie die Todesstrafe selbst begleitet sein.

Es war an dem Sommermorgen, wo unsere Geschichte beginnt, ein bemerkenswerter Umstand, dass die Frauen, von denen sich mehrere unter der Menge befanden, ein besonderes Interesse an der Bestrafung, welche hier bevorstand, zu nehmen schienen. Die Zeit besaß noch nicht so viel Gefühlsverfeinerung, dass eine Empfindung des Unpassenden die Trägerinnen von Röcken und Miedern abgehalten hätte, auf die öffentlichen Straßen hinauszutreten und ihre nicht unsubstantiellen Personen, wenn Anlass dazu vorhanden, bei einer Exekution in die dem Schafott nächsten Reihen der Zuschauer hineinzuzwängen.

Jene Frauen und Jungfrauen von altenglischer Geburt und Erziehung waren moralisch wie physisch aus gröberen Fasern gemacht als ihre schönen, durch eine Reihe von sechs bis sieben Generationen von ihnen getrennten Nachkommen. Denn in dieser Kette der Geschlechtsfolge hat jede Mutter ihrem Kind eine schwächere Blüte, eine bleichere, kürzer dauernde Schönheit und eine zartere physische Konstitution, wo nicht einen Charakter von geringerer Kraft und Solidität wie ihren eigenen, vermacht. Die Frauen, welche jetzt um die Gefängnistür standen, waren weniger als ein halbes Jahrhundert von der Zeit entfernt, wo die männliche Elisabeth die nicht ganz unpassende Vertreterin ihres Geschlechts gewesen war. Sie waren ihre Landsmänninnen, und das Rindfleisch und das Bier ihrer Heimat waren zusammen mit einer um keinen Deut feineren moralischen Diät zu gutem Teil in ihre Zusammensetzung eingegangen. Die helle Morgensonne schien daher auf breite Schultern und volle Busen und runde, tiefrote Wangen, die auf der fernen Insel zur Reife gediehen und in der Atmosphäre von Neuengland kaum erst bleiche

Beschreibung für Leser

Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Über den AutorIn

Nathaniel Hawthorne (1804-1864) stammte aus einer puritanischen Neuengland-Familie. Er war Journalist, arbeitete als Zollinspektor und wurde Konsul in Liverpool. Nach einer mehrjährigen Europa-Reise in die Heimat zurückgekehrt, starb er, erschüttert über den amerikanischen Bürgerkrieg. Hawthorne gilt als Begründer des psychologischen Romans in den USA.