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Tess von den D'Urbervilles
Thomas Hardy

Tess von den D'Urbervilles

Illustrierter Roman. Vollständige und ungekürzte, völlig neue Übersetzung von Barbara Scholz. Die einzige Ausgabe mit Personenverzeichnis, Portrait u. Landkarte, Überschriften zu allen 59 Kapiteln und allen 11 ganzseitigen Original-Illustrationen v. 1891

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Produktdetails

Verlag
Bengelmann Verlag
Bengelmann Verlag e.K.
Erschienen
2017
Sprache
Deutsch
Seiten
431
Infos
431 Seiten
211 mm x 149 mm
ISBN
978-3-930177-36-3

Hauptbeschreibung

Roman. Ungekürzte und vollständige Übersetzung aus den amerikanischen und englischen Erstausgaben. Prachtausgabe mit allen 11 ganzseitigen Original-Illustrationen der amerikanischen Erstausgabe von 1891, mit Personenverzeichnis, Portrait u. Landkarte. In diesem viktorianischem Roman, erschienen in zwei unterschiedlichen Textausgaben in den USA und im UK im Jahre 1891, entwickelt sich die Romanfigur, das 16-jährige hübsche Bauernmädchen Tess vor dem Hintergrund der Familienverhältnisse mit einem alkoholkranken Vater und der Beziehung einerseits zu einem großzügigen Gutsbesitzer und andererseits zu einem engstirnigen Pfarrerssohn. Den Pfarrerssohn Angelheiratet sie, wohingegen sie dem großzügig denkenden Gutsbesitzer Alec verheimlicht, daß sie von ihm ein Kind bekommen wird. Tess arbeitet als Milchmädchen in einer Meierei, dort wird sie von dem Pfarrerssohn Angel beworben. Die schüchterne und gehemmte Tess weist ihn lange Zeit ab, heiratet ihn aber dann doch. Nun beginnt das Unheil, die Tragödie bahnt sich an: Sie verheimlicht bis nach der Hochzeit, daß sie nicht mehr jungfräulich ist und bereits ein Kind geboren hatte, das im Säuglingsalter gestorben war. Sie offenbart dies erst in der Hochzeitsnacht, so daß Angel die Ehe nicht mehr vollzieht. Angel erklärt, daß er nicht mit ihr als seiner Ehefrau zusammenleben kann, so lange der Mann lebt, der sie entjungfert und geschwängert hatte. Auch daß das Baby von Alec und Tess längst verstorben war, änderte nichts an dieser Tatsache. Im Gegenteil: Angel sagt zu Tess, daß er nicht mit ihr zusammenleben könne, so lange Alec lebt - wenn er tot wäre, sei dies etwas anderes. Angel stiftet sie somit zum Mord an Alec an. Angel wandert nach Südamerika aus, um dort Landwirtschaft zu betreiben. Todkrank kehrt er nach einem Jahr zurück und will seine Noch-Ehefrau zurück haben. Angel trifft seine Ehefrau, die er vor einem Jahr verlassen hatte, in einem Luxushotel in Südengland am Meer. Tess weist ihn zunächst ab. Rasch entscheidet sie sich, als Angel das Hotel verläßt, anders: Sie ermordet Alec und läuft dem fliehenden Angel nach. Alec war übrigens sogar so großherzig gewesen, zu akzeptieren, daß Tess mit ihrem Ehemann zusammenlebt und hätte für diesen Fall sogar das junge Paar finanziell unterstützt. Tess ermordet diesen Mann, der alles andere als besitzergeifend ist. Nach der Tat flieht das Paar und holt die Hochzeitsnacht einem unbewohnten Herrenhaus. Bei Stonehenge wird sie von Polizei verhaftet. Sie wird als Mörderin gehenkt. Die Geschichte erinnert sehr an den "Meier Helmbrecht" von Wernher dem Gärtner.
Sie wird zum Tode verurteilt und gehenkt. Thomas Hardy hat diesen Roman wohl unter dem Eindruck der gerade aufkeimenden FREUD'schen Psychoanalyse verfaßt (siehe hierzu den nachfolgenden Essay von Dr. phil. Pauline Bengelmann). Zu diesem Roman gibt es auch eine Fassung als LESEDRAMA.
HIER DER BERÜHMTE ESSAY VON DR. PHIL. PAULINE BENGELMANN:
HIER DER BERÜHMTE ESSAY VON DR. PHIL. PAULINE BENGELMANN:

Dr. phil. Pauline Bengelmann zu Thomas Hardy’s psychoanalytischem Gesellschafts- und Frauenroman „Tess von den D’Urbervilles“ und dessen Theateradaptation. Auszug aus einem Essay für den Buchhandel. © Bengelmann Verlag, München. Abdruck im Buchhandel entsprechend den buchhändlerischen Usancen wird ausdrücklich gestattet.
Mit feinfühliger klarer Sprache hat die Hamburger Übersetzerin Barbara Scholz, bekannt geworden durch ihre Übersetzung von Béroalde de Verville’s burleskem Roman der französischen Spätrenaissance „LE MOYEN DE PARVENIR“ aus dem älteren Französischem (erschienen in Paris 1610), Thomas Hardy’s viktorianischen Gesellschafts- und Frauenroman „TESS OF THE D’URBERVILLES“, erstmals erschienen 1891, übersetzt. Thomas Hardy‘ Roman darf ohne weiteres als Jahrhundertroman gelten, er wird im UK seit über 100 Jahren auch als Theaterstück auf der Bühne inszeniert, und er ist oftmals verfilmt worden, u.a. von Roman Polanski. Dieser Gesellschafts- und Frauenroman entpuppt sich bei näherer Betrachtung mit der Lupe des Psychoanalytikers zugleich als ein freudianisch-psychoanalytischer Roman. Das erstmalige Erscheinen dieses Romans im Jahr 1891 liegt zeitlich knapp vor den weltbewegenden Erkenntnissen Sigmund Freud’s. Hardy’s Roman hat Freud’s Werk in einem auszugsweisen Destillat zitiert, bevor dieses erschienen war, und freudianisches Denken fast vorweggenommen.
Dieser gesellschaftskritische, tiefenpsychologische Frauenroman wurde nun in der im Januar 2017 erschienenen, werkgetreuen Romandramatisierung als LESEDRAMA UND SCHAUSPIEL von der Anglistin Barbara Scholz, dem Germanisten Dr. phil. Hans Adobe und dem Germanisten Dr. phil. Helmut Walter Rathgeber erneut destilliert, konzentriert, verdichtet und der Bühne anverwandelt.
Die Hauptpersonen im Roman und im LESEDRAMA bzw. im SCHAUSPIEL sind gleichsam Patienten in der psychoanalytischen Praxis von Professor Sigmund Freud in der Wiener Berggasse 19. Aber auch einige Nebenpersonen hätten die Praxis in der Berggasse aufsuchen können: Der trunksüchtige Vater von Tess, das oral fixierte, übergewichtige und später trunksüchtige Milchmädchen Marian, und die zappelige Milchmagd Retty mit ihrem nervösen Charakter, die an Angst- und Panikattacken leidet. Retty versucht, sich nach der Verheiratung von Tess‘ zu ertränken. Die Mutter von Tess, eine einfältige Frohnatur, und die kecke Milchmagd Izz Huett - beinahe wäre sie mit dem frisch gebackenen Ehemann ihrer Freundin TESS nach Südamerika ausgewandert - mit ihrer scharfen Zunge, erscheinen als einzige realitätstüchtige Personen, die das Beste aus den vorgefundenen Lebensbedingungen herausholen wollen. Tess‘ Mutter brezelt ihre hübsche Tochter auf und schickt sie zur Verheiratung in die Fremde, zum Anwesen der D’Urbervilles. Der Roman von Thomas Hardy erinnert deshalb an die mittelhochdeutsche Versnovelle "Meier Helmbrecht" von Wernher dem Gärtner. In dieser wird die Hauptfigur, der junge gutaussehende Helmbrecht, Sohn des Gutsverwalters Meier Helmbrecht, mit einer bestickten Mütze, die adelige Herkunft vermuten läßt, ausgestattet, ebenfalls von seiner Mutter mit feinen Kleidern ausgestattet und in die Fremde geschickt, um ein vornehmer Ritter zu werden. Er mordet und plündert, und alles endet schlimm. Nicht anders verläuft es bei Tess, der Tochter eines trunksüchtigen Bauern mit adeligen Vorfahren.
Zu den Hauptpersonen im ROMAN und im LESEDRAMA / THEATERSTÜCK: Thomas Hardy’s Objekt unbarmherziger Psychoanalyse ist die nach einer starren calvinistischen Verzichtideologie lebende Pfarrersfamilie Clare in ihrem zwanghaft-religiösen Wahn, und als Abtrünniger dieser frömmlerischen Familie der zwangsneurotische, von seinem ihn beherrschenden starren Über-Ich auf Verzicht und Enthaltsamkeit programmierte Pfarrerssohn Angel Clare, der in der Hochzeitsnacht seine frustrane Theorie der Vergeblichkeit in praxi auslebt, indem er auf den ihm per Ehevertrag zustehenden Sex mit seiner überaus schönen und reizvollen Ehefrau verzichtet, weil diese entgegen seiner ursprünglichen stillschweigenden Erwartung ihres Hymens früher schon verlustig geworden war, und weil nach seiner moralischen Auffassung , wenn "das Fehlende auch noch so klein sein mag, dieses doch bedeutungsvoll sein kann", wie er selbst mitteilt.
Der Gegenspieler des zwanghaften Angel Clare ist der hysterische Renaissancemensch Alec D’Urberville, dessen Lebenspraxis in der Tradition von Menippos von Gadara (3. vorchristliches Jahrhundert) und Lukian von Samosata (ca. 120 – 180 n.Chr.) steht und letzten Endes die „schamlose Freiheit der Rede und des Denkens“ im Sinne des Literaturwissenschaftlers Prof. Dr. Werner von Koppenfels („Der andere Blick. Das Vermächtnis des Menippos in der europäischen Literatur“, Verlag C.H. Beck 2007, S. 230 ff) zum Thema hat. Alec steht für die Abtei von Thelema, für die Abtei des freien Willens. Alec wird nicht allein vom lustbetonten und am Ziel der baldmöglichen Triebbefriedigung orientierten „Es“ im Sinne Sigmund Freuds beherrscht, sondern auch von seinem starken „Ich“ mit moralischen Über-Ich-Anteilen. Anfänglich und dann auch gegen Ende seines abrupt beendeten Lebens, nur in der Mitte unterbrochen von einem Anfall religiösen Wahns, welcher wohl als Reaktionsbildung auf die Trennung von seiner Geliebten zu verstehen ist, will der freigebige und sinnenfreudige Lebemann Alec D’Urberville ganz im Sinne der Philosophie der Renaissance, wie sie etwa in LEONE EBREO's richtungsweisendem Werk DIALOGHI DI AMORE bei dem Protagonisten Philone zum Ausdruck kommt, das Leben in vollen Zügen genießen und auf nichts verzichten, schon gar nicht auf die körperliche Liebe. Die Lebensphilosophie Alec’s ist einfach „bene vivere et laetari“ ─ „gut leben und glücklich sein“, was der Romanist Frank-Rutger Hausmann „das Lebensideal einer zweckfreien Heiterkeit“ nennt (Hausmann, Französische Renaissance, S. 150).
Trotzdem ist Alec D’Urberville kein rücksichtsloser Egoist, sondern ein Moralist, der noch nach Jahren, als er von der vormaligen Schwangerschaft seiner früheren Geliebten Kunde bekommt, seine moralische und materielle Schuld bei Tess und der Familie Durbeyfield begleichen will. Der erneut in „seine“ Tess verliebte Freigeist sieht auch in der Tatsache, daß Tess mit einem anderen Mann verheiratet ist, kein Hindernis für die freie Liebe. Alec D’Urberville ist jedoch kein Eifersüchtling, der nur Besitz ergreifen will, und für den Dinge und Menschen ganz im Sinne des schnöd-kapitalistischen „endowment-Effektes“ Richard THALER‘s nur etwas wert sind, wenn man sie besitzt. Seine wirkliche geistig-seelische Liebe beweist er, als er erfährt, daß seine geliebte Tess bereits mit einem anderen Mann verheiratet ist, indem er erklärt, daß er Tess und ihren Mann, „wer immer dieser auch sei“, materiell unterstützen wolle. Für diese Großherzigkeit, die in der Engstirnigkeit viktorianischer Moral keinen Platz hat, muß Alec D’Urberville in der Endkonsequenz mit seinem Leben bezahlen.
Tess, die Hauptperson im Roman und im Lesedrama / Theaterstück, ist eine suizidal veranlagte, psychotisch anmutende, schwermütige junge Frau mit Depressionen, Angst- und Panikattacken. Heutzutage würde sie viele Tabletten futtern müssen, Psychopharmaka, Antidepressiva und Tranquilizer. Tess ist jähzornig und unberechenbar, verletzt ihren friedfertigen Gönner und Liebhaber Alec dreimal, nämlich, indem sie einmal seinen Arm schmerzhaft in einem Fenster einklemmt, dann ein zweites Mal, wenn sie ihm einen derben Lederhandschuh so heftig ins Gesicht schlägt, daß das Blut tropft. Und ein drittes Mal, als sie ihm nach der überraschenden Rückkehr Angels ein Tranchiermesser ins Herz stößt. Indem sie diesen Mord in dem Bewußtsein verübt hat, daß sie den Tod am Strick des Henkers finden wird, kann ihre Tat als „erweiterter Selbstmord“ aufgefaßt werden. „Wer sich selbst umbringen kann, kann auch andere umbringen“, so lautet die psychiatrische Erkenntnis hierzu. Wie z.B. ein psychisch kranker Pilot, der sein Passagierflugzeug an die Bergwand steuert, weil er nicht alleine sterben will, sondern noch andere in den Tod mitnehmen will. Und so ist am Ende von Roman und Lesedrama / Theaterstück die unglückliche Tess auch ganz zufrieden damit, wie es gekommen ist. „Es ist gekommen, wie es kommen mußte! Angel ─ ich bin fast froh, ja froh“, sagt Tess am Ende.

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS UND KAPITELÜBERSCHRIFTEN
zu: Thomas Hardy, TESS VON DEN D’URBERVILLES. ROMAN.
Vollständige und ungekürzte, völlig neue Übersetzung von Barbara Scholz. Mit 11 ganzseitigen Illustrationen.

Kapitel 1
Die verhängnisvolle Begegnung Jack Durbeyfields mit Pastor Tringham

Kapitel 2
Die verhängnisvolle Begegnung Tess‘ mit Angel beim Maitanz in Marlott

Kapitel 3
Tess kehrt vom Maitanz nach Hause zurück.

Kapitel 4
In Rollivers Schenke. Wie Prinz das Opfer eines schrecklichen Unfalles wird.

Kapitel 5
Eine für Tess und Alec verhängnisvolle Begegnung. Tess fährt mit dem Fuhrwerk nach Trantridge Cross und geht dann zu Fuß zur Besitzung der Familie D’Urberville.

Kapitel 6
Hoch zu Roß besucht Alec D’Urberville Tess‘ Eltern, um seiner Cousine eine Stelle in der Geflügelfarm anzubieten.

Kapitel 7
Tess‘ wird von ihrer Mutter aufgebrezelt und dann von Alec D’Urberville mit einem eleganten zweirädrigen Einspänner beim Elternhaus abgeholt.


Kapitel 8
Eine gefährliche Fahrt und warum Tess sich ihre Wange mit einem Taschentuch abwischen muß.

Kapitel 9
Tess wird bei ihrer Herrin vorgestellt und lernt, wie man den Dompfaffen eine Melodie vorpfeift.

Kapitel 10
Ein verhängnisvoller Abend im verruchten Vergnügungsviertel von Chaseborough.

Kapitel 11
Alec D’Urberville rettet Tess vor einem gefährlichen Angriff krakeelender Bauernmädchen. Warum sie sich bei der Heimreise zu Pferde verirren und was im Nachtlager in dieser kühlen Septembernacht sich ereignet.

Kapitel 12
Ein verhängnisvoller Sonntagmorgen im späten Oktober. Tess verheimlicht Alec ihre Schwangerschaft und kehrt fluchtartig in ihr Elternhaus zurück. Alec versucht vergeblich, sie zur Rückkehr zu bewegen.

Kapitel 13
Warum sich in der Kirche die Leute flüsternd nach Tess umdrehen und warum Tess fühlt, daß sie nie mehr zur Kirche gehen könne.

Kapitel 14
Tess führt eine Nottaufe bei ihrem sterbenden Kind durch. Das tote Kind wird in einer Schandecke des Friedhofes beerdigt.

Kapitel 15
Tess verpflichtet sich als Milchmagd in der Milchwirtschaft Talbothays bei Meier Crick.


Kapitel 16
In dem nach Thymian duftenden Monat Mai verläßt Tess ihr Elternhaus ein zweites Mal und reist zur Milchwirtschaft Talbothays des Meier Crick.


Kapitel 17
Tess erkennt Angel Clare, der als Praktikant in der Meierei tätig ist, als den unbekannten Wandersmann, der sie damals beim Maitanz nicht zum Tanz aufgefordert hatte. Tess teilt sich das Schlafgemach mit den drei anderen Milchmädchen Marian, Izz Huett und Retty Priddle.

Kapitel 18
Der vornehme Pfarrerssohn Angel Clare betrachtet von seiner abgetrennten Kaminecke im allgemeinen Frühstücksraum aus die vier hübschen Milchmädchen und zieht Tess wegen ihrer überragenden Weiblichkeit vor.



Kapitel 19
Nach seinem wehmütigen Harfenspiel entdeckt Angel Clare die Milchmagd Tess trotz der abendlichen Dämmerung in ihrem hellen Sommerkleid, als sie im Garten schwermütigen Gedanken nachhängt.


Kapitel 20
Schöne Frauen schlafen gewöhnlich in der Morgendämmerung des Mittsommers. Nicht jedoch Tess! Sie wird zu dieser frühen Stunde von Angel Clare im Freien erwartet.



Kapitel 21
Wegen des zeitigen Arbeitsbeginnes am frühen Morgen geht Tess schon vor Sonnenuntergang zu Bett. Sie erwacht, als die drei anderen Milchmägde Marian, Izz Huett und Retty Priddle in den gemeinsamen Schlafraum kommen und sich im orangefarbenen Licht der untergehenden Sonne ausziehen und waschen. Die drei schauen aus dem Fenster hinaus und beobachten verliebt schwärmend Angel Clare. Und sie reden darüber, wer ihn heiraten werde. Und ob er eine Landfrau oder eine Dame heiraten sollte.

Kapitel 22
Voller Selbstaufopferung versucht Tess, Angel aus dem Weg zu gehen und den beiden anderen hübscheren Mädchen, Retty und Izzy, den Joker zuzuschieben

Kapitel 23
An einem Sonntagmorgen, „an welchem das Fleisch auszieht, um mit dem Fleisch zu kokettieren“, werden die vier Milchmädchen in ihren Sonntagskleidern auf ihrem Weg zur Kirche durch eine Überschwemmung am Weitergehen gehindert. Sie erröten, als der zufällig des Weges daherkommende Angel Clare ihnen anbietet, sie über die dreckige Pfütze zu tragen. Und was Izz Huett dann abends vor dem Einschlafen den anderen drei Milchmädchen erzählt, ist eine Ungeheuerlichkeit …

Kapitel 24
Es kommt zu einer stürmischen Umarmung. Tess öffnet ihre Lippen, stürzt sich mit einem verzückten Aufschrei in seine Arme. Angel wagt es nicht, ihren Mund zu küssen, und nachher wird er von Schuldgefühlen geplagt.

Kapitel 25
Am frühen Morgen im Frühstücksraum erfährt das vierblättrige Kleeblatt der Milchmägde, daß Angel für einige Tage zu seiner Familie nach Emminster gefahren ist, um familiäre Angelegenheiten zu besprechen. Und was ist aus den von Frau Crick mitgegebenen leckeren Blutwürsten und dem süffigen Honigwein geworden?

Kapitel 26
Erst nach den Familiengebeten am Abend kann Angel Clare mit seinem Vater unter vier Augen sprechen. Soll Angel’s Ehefrau eine Dame sein oder eine Landfrau, und wie soll sie es denn mit der Religion haben?

Kapitel 27
Entgegen dem Rat der Eltern hat Angel seine Wahl getroffen. Als Tess gerade alleine beim Abrahmen der Milch ist, sagt er zu ihr: „Ich werde bald daran denken müssen zu heiraten; und wenn ich ein Bauer bin, siehst du, dann brauche ich eine Frau, die sich auf die Dinge der Landwirtschaft versteht. Willst du diese Frau sein, Tessy?“


Kapitel 28
„Warum erzählt ihm niemand alles über mich?“, fragt sich Tess. „Es ist doch nur vierzig Meilen von hier geschehen ─ warum ist es nicht bis hierher gedrungen? Irgend jemand muß es doch wissen!“

Kapitel 29
Den ganzen September hatten sich die beiden Liebenden ständig getroffen. Trotzdem bleibt Tess bei ihrem „Nein“. „Fast jede von den anderen drei Milchmädchen würde vielleicht eine bessere Frau für Sie abgeben. Und vielleicht liebt jede für sich Sie genauso sehr wie ich ─ beinahe“, sagt sie zu Angel.

Kapitel 30
Während einer Dienstfahrt, bei eiskaltem Regen zur nächsten Bahnstation, gibt Tess, völlig durchnäßt und unterkühlt, dann doch ihr Jawort.

Kapitel 31
Nach dem Abendessen, als Tess in die Schlafkammer kommt, sitzen Marian, Retty und Izz beim Schein einer Kerze in ihren weißen Nachtgewändern aufrecht im Bett und warten auf Tess, wie eine Riege von Rachegeistern.

Kapitel 32
Obwohl Tess sich eine „ewig währende Brautzeit“ gewünscht hätte, wird nun doch ein Hochzeitstag festgelegt.

Kapitel 33
Nach der Trauung am Silvestertag verläßt das Paar bei einem nachmittäglichen Hahnenschrei die Meierei und fährt zu seinem Quartier in einem alten Bauernhaus in der Nähe von Wellbridge Mill.

Kapitel 34
In Wellbridge angekommen gesteht Angel, daß er ein einziges Mal achtundvierzig Stunden lang sich mit einer Unbekannten vergnügt hätte. Dann erzählt Tess von ihrer Beziehung zu Alec D’Urberville und deren Folgen.

Kapitel 35
Bei Kerzenschein unter dem Mistelzweig des Betthimmels entkleidet sich Tess. Doch Angel weigert sich, die Ehe zu vollziehen. Tess unterwirft sich, sie will „gehorchen wie eine unterwürfige Sklavin“.

Kapitel 36
Das Ehepaar beschließt, sich zu trennen. Angel Clare sagt zu Tess: „Wie können wir zusammenleben, solange jener Mann am Leben ist? Wäre er tot, so wäre es vielleicht etwas anderes.“

Kapitel 37
Der Schlafwandler Angel Clare trägt nachts die unterwürfige und duldsame Tess zu einem Steinsarg in der Klosterkirche. „Mein Weib ─ tot, tot!“ sagt er. Am nächsten Tag überreicht er Tess ein Päckchen, das eine ansehnliche Summe Geldes enthält. Tess steigt dann in die Kutsche, die sie zu ihrem Elternhaus bringen wird.


Kapitel 38
Tess ist wieder zurück im Elternhaus. „Oh, du kleines dummes Ding“ schimpft die Mutter. Tess gibt die Hälfte der Geldsumme, die ihr Angel für ihren Lebensunterhalt gegeben hatte, ihrer Mutter. Enttäuscht verläßt sie ihr Elternhaus wieder.

Kapitel 39
Angel Clare besucht vor seiner Abreise nach Brasilien seine Eltern. „Du warst ihre erste Liebe?“, fragt ihn seine Mutter. Er antwortet: „Natürlich!“

Kapitel 40
Angel muß bei dem Bauernhaus von Wellbridge vorbeischauen, welches für drei Tage Schauplatz der unheilvollen Szenen seiner Ehe gewesen war, und trifft dort Izz Huett, die das Ehepaar besuchen wollte. Eine verhängnisvolle Begegnung!

Kapitel 41
Acht Monate sind seit der dramatischen Trennung des Paares vergangen, Tess lebt von ihrer Arbeit als Taglöhnerin. Ihrer Mutter schickt sie nochmals 20 Pfund für das Strohdach des gepachteten Elternhauses.

Kapitel 42
Tess verändert ihr Äußeres, um lästige Bewunderer ihrer Schönheit abzuschrecken, und zieht nach Flintcomb-Ash, um dort Arbeit auf den Hungeräckern anzunehmen. Am Dorfeingang, bei einer von innen beheizten hervorragenden warmen Giebelmauer eines Hauses, trifft sie Marian.

Kapitel 43
Izz Huett kommt in Flintcomb Ash an, und Marian sorgt dafür, daß Izz ihr Schweigen bricht und über ein wirklich unmoralisches Angebot Angel Clare’s berichtet.


Kapitel 44:
An einem Sonntag unternimmt Tess einen vergeblichen Versuch, ihre Schwiegereltern im Pfarrhaus von Emminster zu besuchen. Beim Rückweg entdeckt sie in einer Scheune Alec D’Urberville in priesterlichem Gewande als feurigen Prediger.


Kapitel 45
Tess empört sich darüber, daß Alec D‘Urberville, der sie verführt hatte, jetzt der Keuschheit das Wort predigt, während sie eine Sünderin bleibt. Sie verläßt die Scheune. Beim weiteren Nachhauseweg eilt Alec ihr nach und holt sie ein. „Warum hast du mir nicht geschrieben, als du das kommen fühltest?“, sagt Alec, nachdem Tess ihm erstmals von ihrer Schwangerschaft und dem Tod ihres gemeinsamen Kindes berichtet hatte. Eine verhängnisvolle Wiederbegegnung!

Kapitel 46
Einige Tage später kommt Alec D’Urberville nach Flintcomb Ash. Mit der amtlichen Heiratserlaubnis in der Hand fragt er, ob Tess seine Ehefrau werden und mit ihm gehen wolle. Tess muß ablehnen, weil sie bereits verheiratet ist. Alec ist bestürzt, sagt jedoch zu Tess, „aber ich möchte dir und deinem Mann, wer immer er auch sein mag, gern etwas Gutes tun.“


Kapitel 47
Kurz vor der Mittagspause kommt Alec D’Urberville erneut nach Flintcomb Ash und berichtet, daß er sich von seinen Glaubensbrüdern getrennt habe. „Du warst der Grund für meinen Glaubensabfall“, fuhr er fort, seinen Arm zu ihrer Taille hin ausstreckend, „und du solltest auf meiner Seite sein und diesen störrischen Dickkopf, den du Gatten nennst, für immer verlassen!“ Jähzornig schlägt ihm Tess einen derben Lederhandschuh ins Gesicht, und im nächsten Augenblick beginnt das Blut von seinen Lippen auf das Stroh zu tropfen.

Kapitel 48
Am Nachmittag desselben Tages steht Alec D’Urberville erneut vor der Scheune, in welcher Tess arbeitet, und wirft ihr eine Kußhand zu. „Was ─ nach alledem ─ trotz meines beleidigenden Schlages“, sagte Tess im Flüsterton. „Wenn ich unsere früheren Beziehungen schon nicht legitimieren kann, so kann ich dir wenigstens helfen“, sagt Alec.


Kapitel 49
Liza-Lu taucht überraschend auf und berichtet von einer lebensgefährlichen Erkrankung der Mutter. Tess verläßt noch zu später Stunde Flintcomb Ash und eilt zu Fuß nach Hause.


Kapitel 50
Zu Hause gibt es zur Pflanzzeit viel Arbeit, zumal der Acker der Durbeyfields völlig verwahrlost ist. Beim nächtlichen Umgraben des Ackers entdeckt sie im Schein des Queckenfeuers einen Mann in einem langen Arbeitskittel, der auf der gleichen Parzelle arbeitet wie sie. Es ist Alec D’Urberville. Er bietet Hilfe an. Tess lehnt ab.


Kapitel 51
Nach dem Tod des Vaters muß die nunmehr obdachlose Familie das gepachtete Haus verlassen. „Weil ich keine anständige Frau bin“, sagt Tess zu Alec. Alec bietet der obdachlosen Familie an, sein Gartenhaus in Trantridge zu beziehen und dort eine Geflügelzucht zu betreiben. Tess lehnt ab und klemmt seine Hand schmerzhaft zwischen einem Fensterflügel und dem steinernen Mittelpfosten ein.


Kapitel 52
Die obdachlose Familie übernachtet mit ihrem Fuhrwerk bei der Friedhofsmauer neben der Kirche in Kingsbere, wo die Gebeine der Ahnen der alten D’Urbervilles in ihren steinernen Särgen in einer Gruft liegen. Vor dem dunklen Stein, der den Zugang zu den Grabstätten verschließt, sagt sie: „Warum bin ich auf der verkehrten Seite dieser Tür?“ Alec D’Urberville will erneut Hilfe leisten und fragt Tess: „Nun befehle mir. Was soll ich tun?“ „Gehen Sie fort!“ murmelt sie.


Kapitel 53
Angel Clare kehrt, von schwerer Krankheit gezeichnet, aus Brasilien zurück. In seinem Elternhaus in Emminster liest er Briefe mit alarmierenden Nachrichten, was seine Ehefrau betrifft. Er beschließt, zu ihr zu reisen.


Kapitel 54
Angel kann in Erfahrung bringen, daß seine Gattin sich in dem mondänen Badeort Sandbourne aufhält und eilt dorthin.


Kapitel 55
Angel Clare spürt Tess in einer piekfeinen Pension, ‚The Herons‘ genannt, auf. „Tess!“ sagt er mit belegter Stimme, „kannst du mir verzeihen, daß ich fortgegangen bin? Kannst du nicht ─ zu mir kommen? Wie kam es dazu ─, daß du so bist?“ Tess sagt zu ihm: „Es ist zu spät“. Er verläßt das Hotel.


Kapitel 56
Tess ermordet in einem Anfall wahnhafter Wut ihren Gönner und Lebensgefährten Alec D’Urberville mit dem Tranchiermesser.
Frau Brooks, die Besitzerin der Pension, war neugierig geworden und lugt durch das Schlüsselloch der Suite, welche die D’Urbervilles gemietet hatten. Sie hört, wie Tess mit lauter Stimme schwere Vorwürfe an Alec D’Urberville richtet.
Dann ist plötzlich Stille. Nach einiger Zeit verläßt Tess das Hotel und Frau Brooks sieht an der Decke im Zimmer unterhalb dann einen Blutfleck. Es wird Alarm geschlagen.


Kapitel 57
Angel Clare hatte inzwischen sein Hotelzimmer geräumt und ist jetzt auf dem Weg zum Bahnhof. Tess läuft ihm auf der Straße nach und holt ihn ein. „Angel“, sagte sie mit einem unschuldigen Lächeln, „weißt du, warum ich hinter dir hergelaufen bin? Um dir zu sagen, daß ich ihn getötet habe!“ Auf ihrer Flucht findet das Paar eine verlassene Villa, das Herrenhaus Bramshurst, in welchem sie für einige Tage Quartier beziehen. Späte Flitterwochen im Herrenhaus Bramshurst.

Kapitel 58
Das Ehepaar wird von der Hausverwalterin entdeckt und flieht. Endpunkt ihrer Nachtwanderung ist Stonehenge. „Oh, Angel ─ ich wünschte, du würdest deine Schwägerin Liza-Lu heiraten, wenn du mich verloren hast, was bald geschehen wird“, sagt Tess. Am frühen Morgen ist Stonehenge von Polizei umstellt.

Kapitel 59
Angel Clare und Lisa Lu stehen auf einer Anhöhe gegenüber dem Gefängnis der Stadt Wintoncester. Die Uhren der Stadt schlagen achtmal. Sie sehen eine schwarze Fahne an einer Fahnenstange des Gefängnisturmes aufsteigen, und sie wissen, daß Tess den Tod am Strick des Henkers gefunden hat.

Besprechung

Dr. phil. Pauline Bengelmann zu Thomas Hardy’s psychoanalytischem Gesellschafts- und Frauenroman „Tess von den D’Urbervilles“ und dessen Theateradaptation. Auszug aus einem Essay für den Buchhandel. © Bengelmann Verlag, München. Abdruck im Buchhandel entsprechend den buchhändlerischen Usancen wird ausdrücklich gestattet.
Mit feinfühliger klarer Sprache hat die Hamburger Übersetzerin Barbara Scholz, bekannt geworden durch ihre Übersetzung von Béroalde de Verville’s burleskem Roman der französischen Spätrenaissance „LE MOYEN DE PARVENIR“ aus dem älteren Französischem (erschienen in Paris 1610), Thomas Hardy’s viktorianischen Gesellschafts- und Frauenroman „TESS OF THE D’URBERVILLES“, erstmals erschienen 1891, übersetzt. Thomas Hardy‘ Roman darf ohne weiteres als Jahrhundertroman gelten, er wird im UK seit über 100 Jahren auch als Theaterstück auf der Bühne inszeniert, und er ist oftmals verfilmt worden, u.a. von Roman Polanski. Dieser Gesellschafts- und Frauenroman entpuppt sich bei näherer Betrachtung mit der Lupe des Psychoanalytikers zugleich als ein freudianisch-psychoanalytischer Roman. Das erstmalige Erscheinen dieses Romans im Jahr 1891 liegt zeitlich knapp vor den weltbewegenden Erkenntnissen Sigmund Freud’s. Hardy’s Roman hat Freud’s Werk in einem auszugsweisen Destillat zitiert, bevor dieses erschienen war, und freudianisches Denken fast vorweggenommen.
Dieser gesellschaftskritische, tiefenpsychologische Frauenroman wurde nun in der im Januar 2017 erschienenen, werkgetreuen Romandramatisierung als LESEDRAMA UND SCHAUSPIEL von der Anglistin Barbara Scholz, dem Germanisten Dr. phil. Hans Adobe und dem Germanisten Dr. phil. Helmut Walter Rathgeber erneut destilliert, konzentriert, verdichtet und der Bühne anverwandelt.
Die Hauptpersonen im Roman und im LESEDRAMA bzw. im SCHAUSPIEL sind gleichsam Patienten in der psychoanalytischen Praxis von Professor Sigmund Freud in der Wiener Berggasse 19. Aber auch einige Nebenpersonen hätten die Praxis in der Berggasse aufsuchen können: Der trunksüchtige Vater von Tess, das oral fixierte, übergewichtige und später trunksüchtige Milchmädchen Marian, und die zappelige Milchmagd Retty mit ihrem nervösen Charakter, die an Angst- und Panikattacken leidet. Retty versucht, sich nach der Verheiratung von Tess‘ zu ertränken. Die Mutter von Tess, eine einfältige Frohnatur, und die kecke Milchmagd Izz Huett - beinahe wäre sie mit dem frisch gebackenen Ehemann ihrer Freundin TESS nach Südamerika ausgewandert - mit ihrer scharfen Zunge, erscheinen als einzige realitätstüchtige Personen, die das Beste aus den vorgefundenen Lebensbedingungen herausholen wollen. Tess‘ Mutter brezelt ihre hübsche Tochter auf und schickt sie zur Verheiratung in die Fremde, zum Anwesen der D’Urbervilles. Der Roman von Thomas Hardy erinnert deshalb an die mittelhochdeutsche Versnovelle "Meier Helmbrecht" von Wernher dem Gärtner. In dieser wird die Hauptfigur, der junge gutaussehende Helmbrecht, Sohn des Gutsverwalters Meier Helmbrecht, mit einer bestickten Mütze, die adelige Herkunft vermuten läßt, ausgestattet, ebenfalls von seiner Mutter mit feinen Kleidern ausgestattet und in die Fremde geschickt, um ein vornehmer Ritter zu werden. Er mordet und plündert, und alles endet schlimm. Nicht anders verläuft es bei Tess, der Tochter eines trunksüchtigen Bauern mit adeligen Vorfahren.
Zu den Hauptpersonen im ROMAN und im LESEDRAMA / THEATERSTÜCK: Thomas Hardy’s Objekt unbarmherziger Psychoanalyse ist die nach einer starren calvinistischen Verzichtideologie lebende Pfarrersfamilie Clare in ihrem zwanghaft-religiösen Wahn, und als Abtrünniger dieser frömmlerischen Familie der zwangsneurotische, von seinem ihn beherrschenden starren Über-Ich auf Verzicht und Enthaltsamkeit programmierte Pfarrerssohn Angel Clare, der in der Hochzeitsnacht seine frustrane Theorie der Vergeblichkeit in praxi auslebt, indem er auf den ihm per Ehevertrag zustehenden Sex mit seiner überaus schönen und reizvollen Ehefrau verzichtet, weil diese entgegen seiner ursprünglichen stillschweigenden Erwartung ihres Hymens früher schon verlustig geworden war, und weil nach seiner moralischen Auffassung , wenn "das Fehlende auch noch so klein sein mag, dieses doch bedeutungsvoll sein kann", wie er selbst mitteilt.
Der Gegenspieler des zwanghaften Angel Clare ist der hysterische Renaissancemensch Alec D’Urberville, dessen Lebenspraxis in der Tradition von Menippos von Gadara (3. vorchristliches Jahrhundert) und Lukian von Samosata (ca. 120 – 180 n.Chr.) steht und letzten Endes die „schamlose Freiheit der Rede und des Denkens“ im Sinne des Literaturwissenschaftlers Prof. Dr. Werner von Koppenfels („Der andere Blick. Das Vermächtnis des Menippos in der europäischen Literatur“, Verlag C.H. Beck 2007, S. 230 ff) zum Thema hat. Alec steht für die Abtei von Thelema, für die Abtei des freien Willens. Alec wird nicht allein vom lustbetonten und am Ziel der baldmöglichen Triebbefriedigung orientierten „Es“ im Sinne Sigmund Freuds beherrscht, sondern auch von seinem starken „Ich“ mit moralischen Über-Ich-Anteilen. Anfänglich und dann auch gegen Ende seines abrupt beendeten Lebens, nur in der Mitte unterbrochen von einem Anfall religiösen Wahns, welcher wohl als Reaktionsbildung auf die Trennung von seiner Geliebten zu verstehen ist, will der freigebige und sinnenfreudige Lebemann Alec D’Urberville ganz im Sinne der Philosophie der Renaissance, wie sie etwa in LEONE EBREO's richtungsweisendem Werk DIALOGHI DI AMORE bei dem Protagonisten Philone zum Ausdruck kommt, das Leben in vollen Zügen genießen und auf nichts verzichten, schon gar nicht auf die körperliche Liebe. Trotzdem ist Alec D’Urberville kein rücksichtsloser Egoist, sondern ein Moralist, der noch nach Jahren, als er von der vormaligen Schwangerschaft seiner früheren Geliebten Kunde bekommt, seine moralische und materielle Schuld bei Tess und der Familie Durbeyfield begleichen will. Der erneut in „seine“ Tess verliebte Freigeist sieht auch in der Tatsache, daß Tess mit einem anderen Mann verheiratet ist, kein Hindernis für die freie Liebe. Alec D’Urberville ist jedoch kein Eifersüchtling, der nur Besitz ergreifen will, und für den Dinge und Menschen ganz im Sinne des schnöd-kapitalistischen „endowment-Effektes“ Richard THALER‘s nur etwas wert sind, wenn man sie besitzt. Seine wirkliche geistig-seelische Liebe beweist er, als er erfährt, daß seine geliebte Tess bereits mit einem anderen Mann verheiratet ist, indem er erklärt, daß er Tess und ihren Mann, „wer immer dieser auch sei“, materiell unterstützen wolle. Für diese Großherzigkeit, die in der Engstirnigkeit viktorianischer Moral keinen Platz hat, muß Alec D’Urberville in der Endkonsequenz mit seinem Leben bezahlen.
Tess, die Hauptperson im Roman und im Lesedrama / Theaterstück, ist eine suizidal veranlagte, psychotisch anmutende, schwermütige junge Frau mit Depressionen, Angst- und Panikattacken. Heutzutage würde sie viele Tabletten futtern müssen, Psychopharmaka, Antidepressiva und Tranquilizer. Tess ist jähzornig und unberechenbar, verletzt ihren friedfertigen Gönner und Liebhaber Alec dreimal, nämlich, indem sie einmal seinen Arm schmerzhaft in einem Fenster einklemmt, dann ein zweites Mal, wenn sie ihm einen derben Lederhandschuh so heftig ins Gesicht schlägt, daß das Blut tropft. Und ein drittes Mal, als sie ihm nach der überraschenden Rückkehr Angels ein Tranchiermesser ins Herz stößt. Indem sie diesen Mord in dem Bewußtsein verübt hat, daß sie den Tod am Strick des Henkers finden wird, kann ihre Tat als „erweiterter Selbstmord“ aufgefaßt werden. „Wer sich selbst umbringen kann, kann auch andere umbringen“, so lautet die psychiatrische Erkenntnis hierzu. Wie z.B. ein psychisch kranker Pilot, der sein Passagierflugzeug an die Bergwand steuert, weil er nicht alleine sterben will, sondern noch andere in den Tod mitnehmen will. Und so ist am Ende von Roman und Lesedrama / Theaterstück die unglückliche Tess auch ganz zufrieden damit, wie es gekommen ist. „Es ist gekommen, wie es kommen mußte! Angel ─ ich bin fast froh, ja froh“, sagt Tess am Ende.