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Else Buschheuer

Hier noch wer zu retten?

Über die Liebe, den Tod und das Helfen

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Produktdetails

Verlag
Heyne Verlag
Erschienen
2019
Sprache
Deutsch
Seiten
272
Infos
272 Seiten
ISBN
978-3-641-22978-8

Kurztext / Annotation

Wann ist ein Mensch ein Mensch, und was hat das damit zu tun, ob es ein Mann oder eine Frau ist? Ist Helfen männlich? Weiblich? Menschlich? Ist es am Ende nur ein Schrei nach Liebe?
Buschheuer: »Ich hab auch nie zu einem Partner gesagt: Jetzt streng dich mal bisschen an. Rubbel hier. Rubbel da. Es war immer toll für mich, weil ich ja verliebt war. In Liebesdingen bin ich unverführbar. Es sei denn, jemand kommt und sagt: Ich glaub, ich bin impotent.«
Therapeutin: »Aha, weil du dann denkst, du kannst ihm helfen.«

»Tapfer wie ein Samurai und dazu auch noch komisch zieht Else Buschheuer in die Schlacht um die eigene Seele und rettet so ganz nebenbei die des Lesers.« Doris Dörrie

Sie ist radikal in der Selbsterforschung. Ihre Triebfeder ist unbedingte Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber. Wie Kolumbus sucht sie neue Kontinente, geht an die Grenzen der menschlichen Existenz, dorthin, wo es weh tut und sie sich selber spürt: bei den Sterbenden, den Alten, den Dementen, bei Geflüchteten, Gestrandeten, Obdachlosen. Was aber ist ihr Impetus? Fürsorge? Sehnsucht? Kontrollwut? Ist sie einfach nur bekloppt? Muss sie sich vielleicht mal lockermachen?
Mit Selbstironie, Verve und Leidenschaft erzählt Else Buschheuer von einer Reise nach außen, in die Grenzbereiche des Lebens und unserer Gesellschaft, und von einer Reise nach innen, an die Wurzeln von »So-Sein« und Identität. Eine rigorose Selbstsezierung, schonungslos offen, geistreich und pointiert, eine persönliche Bestandsaufnahme, die unvermutet zur Diagnose unserer gesellschaftlichen Verhältnisse wird - und zu der existentiellen Frage: Was ist ein Mensch?

Else Buschheuer wurde 1965 in Eilenburg bei Leipzig geboren; sie war Reporterin, TV-Moderatorin, Kolumnistin und eine von Deutschlands ersten Bloggerinnen. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute lebt sie als Schriftstellerin in Berlin. Bisher erschienen: »Ruf! Mich! An!«, »Masserberg«, »Venus«, »Der Koffer«, »Verrückt bleiben!« und »Zungenküsse mit Hyänen«.

Textauszug

ICH BIN DA, HEINZ

Und die Seele? Fliegt sie hinaus?

Ich besuche meine Tante Uschi in Bitterfeld. Wir sitzen in ihrem Garten. Eine riesige Hornisse attackiert uns. »Mach mal Sterbehilfe«, sagt Tante Uschi, die mich gern neckt, seit ich den Sterbebegleitungskurs beim Hospiz mache, und schiebt mir Paral über den Tisch, ein Insektenspray »mit der natürlichen Kraft der Chrysanthemen«.

Ich lege auf die Hornisse an und schieße so präzise, dass sie, schaumig tropfend, zu Boden rutscht. Sie landet auf dem Sockel eines Gartenzwerges und dreht sich dort um die eigene Achse, ohne allerdings das Brummen zu unterlassen. »Na, mal sehen«, sagt Tante Uschi, zündet sich einen Zigarillo an und betrachtet mit Interesse das zuckende Tier. »Die leidet aber mächtig!«

»Das weiß man nie«, sage ich und muss an Herrn Wetterling denken. Herr Wetterling hatte laut gerasselt und mit den Armen immer wieder ins Leere gegriffen. Einmal hatte er mir dabei eine versetzt, und ich war erschrocken gewesen von dieser jenseitigen Schlagkraft. Ich war außer mir. Ich rief die Ärztin. Der Mann schien entsetzlich zu leiden. Man musste doch etwas tun!

Wetterling war nicht mein erster Sterbender. Ich hatte schon einige Jahre zuvor in Kalkutta im von Mutter Teresa gegründeten »Heim für mittellose Sterbende« von den »Missionarinnen der Nächstenliebe« Todkranke betreut. Aber das war anders gewesen. Die Menschen dort waren im Akkord gestorben. An Unterernährung, Tuberkulose, Hepatitis, Aids. Herr Wetterling war ein Krebspatient. Zur Schmerzeinstellung stationär. Austherapiert, wie es heißt. Final. Ihn betreute ich im Zuge meines Hospizkurses, über den sich Tante Uschi immer lustig macht.

Die Ärztin beruhigte mich. Das In-die-Luft-Greifen sei bei Sterbenden normal, ein Reflex. Herr Wetterling leide möglicherweise gar nicht. Jedenfalls weniger, als es den Anschein habe. Er erlebe jetzt Dinge, über die wir nur mutmaßen können, Sensationen, von denen wir nie erfahren werden, erst in der Stunde unseres Todes. Ich solle mich lieber auf einen Stuhl setzen, nicht auf den Bettrand. Wer weiß, ob Wetterling das wollen würde. Man soll Sterbenden nicht auf die Pelle rücken.

Die Ärztin öffnete das Fenster (Damit die Seele hinausfliegt? Sie verneinte energisch. Für frische Luft!) und ließ mich mit Wetterling allein. Viele Schläuche und Kanülen steckten in seinem Körper. Sein Brustkorb pumpte. Der Puls am Hals zuckte wie wild. Sein Kopf stieß ruckartig in die Luft. Seine entzündeten Augen traten hervor, aus seinem Mund quoll gelblicher Schaum. Der ganze Mann klang wie eine riesige, brodelnde Kaffeemaschine. Es gab Momente, da wollte ich selber sterben. Es gab Momente, da wollte ich schreien: »Stirb doch endlich! Hör auf mit diesen schrecklichen Geräuschen!«

Ähnlich wie die Hornisse erweckte auch Herr Wetterling nicht meinen Brutpflegetrieb. Sterben sieht nicht gut aus, klingt nicht gut, riecht nicht gut. Bei einer Geburt dabei sein, das finden wir schick. Eine Patenschaft für ein Kind in Afrika übernehmen - das ist lobenswert, schön weit weg, überdies niedlich. Aber die Gegenwart eines Sterbenden bringt uns in allergrößte Bedrängnis. Wir wissen nicht, was man tut, was man sagt. Niemand hat uns gelehrt, was man tut, was man sagt.

Wir wollen das nicht miterleben müssen, wir wollen einfach nur weg. Wenn die todkranke Oma fragt: »Muss ich sterben?«, lügen wir: »Ach wo, das wird wieder.« Und geben Fersengeld. Und überlassen sie ihrem Geschick. Und treffen uns nachher auf dem Friedhof wieder.

Ich blieb an Wetterlings Bett, kühlte seine harte gelbliche Stirn, hielt seine blau geäderte Hand und sagte, wenn sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde aus weiter Ferne zurückkam: »Ich bin da, Herr Wetterling, Sie sind nicht allein.«

Mehr nicht. Mehr war nicht zu tun. Äußere Ruhe und innere Bewegung. Sein Sterben und mein Nichtstunkönnen wühlten mich auf. Diese Aufwühlung galt es auszuhalten, so lange es

Beschreibung für Leser

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